Leseprobe

14 Kontext kam der ersten öffentlichen Präsentation des Bauhauses im Sommer 1923 eine herausragende Bedeutung zu. Auf Druck des thüringischen Volksbildungsministeriums stellte das Staatliche Bauhaus in Weimar seine Arbeits- und Ausbildungsergebnisse vor. Zum Programm gehörten Ausstellungen in den Hochschulgebäuden und im Landesmuseum, Theater- und Musikveranstaltungen sowie Vorträge in Weimar und Jena. Den Höhepunkt bildete das Musterhaus Am Horn als Gesamtkunstwerk und Teil der seit 1920 geplanten Bauhaus-Siedlung.9  Gropius lobte dazu einen studentischen Wettbewerb für einen modernen Hochschulcampus des Bauhauses aus, der den akuten Mangel an Unterrichts-, Werkstatt-, Atelier- und Wohnraum beheben sollte. Davon haben sich die Entwürfe Walter Determanns erhalten, beginnend mit einer Streusiedlung von kleinen Holzhäusern in einem Kiefernwäldchen bis hin zur utopischen Vision eines wirtschaftlich und sozial autarken Hochschulkomplexes südlich von Weimar. In expressionistischer Formensprache organisierte er eine städtebaulich symmetrische Anlage nach dem Vorbild der französischen utopischen Sozialisten des 18. Jahrhunderts mit eigenem Gutshof zur Lebensmittelversorgung, Kindergarten mit Schwimmbecken, einem Kranz von Werkstätten, Vierfamilienhäusern für die Lehrkräfte, Studierendeninternaten sowie einem Hauptgebäude für Ausstellungen und Feste sowie Gebäuden für die Verwaltung. Im Zentrum der Anlage plante er ein Theater und ein Stadion nach antikem Vorbild, die auf einen Kristall, eine Glaspyramide, ausgerichtet sind. Die Anlage wird von einer Mauer umschlossen, an deren Eckpunkten Leuchttürme das Licht der Moderne in das provinzielle Weimar senden sollten.10  Mit der Gründung der »Bauhaus-Siedlungsgenossenschaft GmbH« 1921 und der Einstellung des jungen ungarischen Architekten Fred Forbát begann in enger Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro von Gropius und Meyer die eigentliche Vorgeschichte des Hauses Am Horn. Am Rand des Ilmparks oberhalb des Goethe-Gartenhauses wurde ein Gelände erworben, auf dem Forbát ein völlig anderes, moderneres Hochschul- und Siedlungskonzept entwickelte. Wie eine »Stadtkrone« Bruno Tauts11 erhebt sich das Hauptgebäude weithin sichtbar auf dem höchsten Punkt des Geländes, begleitet von einer Reihe von Werkstattgebäuden. Daran schließen sich mehr als 50 Einfamilienhäuser an, die in einfacher oder Doppelreihe mit Kopfbauten mit Vor- und Rücksprüngen differenzierte Räume bilden. Im Zentrum der Anlage lag der Festplatz, der von einem mehrgeschossigen Studierendenwohnheim zweiseitig gefasst wurde. Dieser Gebäudekomplex nahm Gestaltungsmerkmale des Bauhaus-Gebäudes in Dessau vorweg. Den Übergang zum Park stellten 19 freistehende Einfamilienhäuser mit großen Gärten her, die Wohn- und Atelierhäuser für die Bauhaus-Meister.12  Diese Häuser sollten unter Mitwirkung der zukünftigen EigentümerInnen, der Mitglieder der Siedlungsgenossenschaft, auf der Basis des »Baukastens im Großen« geplant werden, den Gropius 1922 entwickelt hatte. Dieser Baukasten bestand aus sechs unterschiedlichen Raumzellen mit vorgefertigten Bauteilen, die je nach Familiengröße, Budget und Geländetopografie zu ganz unterschiedlichen Häusern addiert und kombiniert werden konnten.13 9 Vgl. Oskar Schlemmer: Programm zur Bauhaus-Ausstellung 1923, Postkarte, Buchdruck/beidseitig. Für die Werbung sorgten 20 Postkarten, die als großes Gemeinschaftsprojekt von Lehrenden (8) und Studierenden (12) in der hohen Auflage von je 2 000 realisiert wurden – eine frühe Mail-Art-Aktion. Dabei nahmen Gerhard Marcks und Paul Häberer das Haus Am Horn als Motiv auf. Vgl. Klaus Weber (Hrsg.): Punkt. Linie. Fläche. Druckgrafik am Bauhaus. Berlin 1999, S. 266–277. 10 Der Nachlass von Walter Determann wurde durch die Familie des Künstlers als Schenkung an das Bauhaus-Museum der Klassik Stiftung Weimar übergeben. Vgl. Michael Siebenbrodt (Hrsg.): Bauhaus Weimar. Entwürfe für die Zukunft. OstfildernRuit 2000, S. 26–31 11 Vgl. Bruno Taut: Die Stadtkrone. Jena 1919. 12 Vgl. Klaus-Jürgen Winkler: Die Architektur am Bauhaus in Weimar. Berlin, München 1993, S. 79–94. 13 Vgl. Hartmut Probst, Christian Schädlich: Walter Gropius. Band 1: Der Architekt und Theoretiker. Werkverzeichnis Teil 1. Berlin 1995, S. 90–99.

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