15 Dies sollte die Planungs- und Baukosten sowie den Zeitaufwand reduzieren und zugleich gestalterisch monotone Häuser und Siedlungen verhindern. Die Industrialisierung des Bauwesens − möglichst auf dem Niveau der amerikanischen Automobilherstellung − sah Gropius als Weg zur Überwindung der Wohnungsnot.14 Das implizierte für ihn die Erforschung neuer Materialien, Konstruktionen und Technologien15 ebenso wie die Frage nach neuen Bedürfnissen und Lebensweisen der Menschen, dem Verhältnis von Mensch und Natur in einer sich rasant verändernden und zunehmend globalisierten Industriegesellschaft.16 Es charakterisiert die menschliche Größe von Walter Gropius, dass er seine eigenen Ambitionen zurückstellte, als der jüngste Bauhaus-Meister, der Maler und Grafiker Georg Muche in einer Vollversammlung des Bauhauses seine Ideen für ein modernes Wohnhaus vorstellte und damit die Studierenden begeisterte: das Haus Am Horn. Muche schlug ein Wohnhaus für eine dreiköpfige Familie vor, die ohne Hauspersonal auskommen sollte und in dem die Frau durch pflegeleichte Materialien, moderne Haustechnik und geschickte Raumorganisation von traditioneller Hausarbeit entlastet würde.17 Im Mittelpunkt stand die Kommunikation in Familie und Freundeskreis. Deshalb organisierte Muche auf einer Grundfläche von 12,7×12,7 m alle Bereiche um einen zentralen Hauptraum von 6×6 m, der nur durch die angegliederte Arbeitsnische an die Außenwand grenzt. Über den Wohnraum erreicht man das Speisezimmer sowie das Zimmer der Dame und des Herrn mit dazwischen liegendem Bad. Der kleine Flur erschließt in der Hauptachse den Wohnraum, links Küche und WC sowie rechts ein Gästezimmer. Von der Küche aus erstreckt sich eine Zimmerfolge über das Speisezimmer zum Kinderzimmer, sodass der Kontakt zu den Kindern auch während der Küchenarbeit erhalten bleibt. Die Küche ist als reine Arbeitsküche konzipiert, so wie sie wenige Jahre später von Margarete Schütte-Lihotzky als »Frankfurter Küche« vollendet weiterentwickelt und tausendfach gebaut wurde.18 Die beschriebenen Räume 14 Vgl. Walter Gropius: Programm zur Gründung einer allgemeinen Hausbaugesellschaft auf künstlerisch einheitlicher Grundlage m.b.H., 1910, in: Hartmut Probst, Christian Schädlich: Walter Gropius, Band 3: Ausgewählte Schriften, Berlin 1987, S. 18–25. 15 Walter Gropius und Adolf Meyer planten den Aufbau eines Versuchsplatzes und die Einbeziehung der Bau- und Ingenieurwissenschaften am Bauhaus, wie es das Schema des Studiengangs am Bauhaus 1922 dokumentiert. 16 Dieses Thema beeinflusste den Diskurs am Bauhaus Weimar nachhaltig, wie auch zahlreiche künstlerische Arbeiten der Studierenden belegen, beispielsweise Peter Kelers Entwürfe für ein fahrbares oder ein drehbares Haus, Mokka-Maschinen von Theodor Bogler, der Frisiertisch für eine Dame von Marcel Breuer, der Maschinenmensch von Theobald Emil Müller-Hummel oder Kurt Schmidts Mechanisches Ballett. 17 Die Qualifizierung der Entwurfsidee wurde im Zusammenwirken von Muche mit dem Architekturbüro Gropius/Meyer unter Leitung von Adolf Meyer als Teamwork umgesetzt. Mehrere Entwurfsphasen sind überliefert, die die funktionelle Gliederung, aber auch die Gestaltung des Hauses betreffen. 18 Vgl. Klaus Klemp, Matthias K. Wagner (Hrsg.): Das Neue Frankfurt und die Frankfurter Küche. Frankfurt a.M. 2020; Peter Noever: Die Frankfurter Küche von Margarete SchütteLihotzky. Berlin 1992. Den Höhepunkt bildete das Musterhaus Am Horn als Gesamtkunstwerk.
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