Leseprobe

41 Der Umzug Otto Ubbelohdes nach Goßfelden bei Marburg um 1900 erweckt zunächst den Eindruck, als habe sich der Maler und Grafiker nach seiner Studienzeit in München und Berührungspunkten mit den Künstlerkolonien Dachau und Worpswede für ein Außenseiterdasein fernab von Malervereinigungen entschieden, um fortan in der Abgeschiedenheit des hessischen Lahntals zu leben und zu wirken. Dass dem so nicht war, bezeugen die vielen Studienreisen in die Rhön, in den Odenwald, an den Bodensee und nach Norddeutschland, der rege Austausch mit den Willingshäuser Maler/innen Anfang des 20. Jahrhunderts sowie die Aufnahme von Mal- und Zeichenschüler/innen auf seinem Anwesen in den Sommermonaten ab 1900. Um zu verstehen, was den Künstler dazu veranlasste, sich in der Lahnaue zwischen Goßfelden und Sarnau, und nicht im städtischen Marburg, niederzulassen, hilft ein Blick auf dessen Kunst- und Naturverständnis, das er mitunter in bekannten Künstlerkolonien entwickelte. Künstlerkolonien im 19. und 20. Jahrhundert Als Antwort auf die erste Phase der Industrialisierung bildeten sich im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert Künstlerkolonien als wichtige Orte der Kunstproduktion in Deutschland und ganz Europa. Unter ihrem Grundkonsens »zurück zur Natur« verstanden die Künstler/ innen des ausgehenden 19. Jahrhunderts keinen Rückschritt, sondern einen »Glaube[n] an das Vorwärts in größere Unabhängigkeit und Freiheit«1 und trugen damit wesentlich zur Entwicklung der Modernen Kunst bei. Dass Künstler/innen mit mehreren Orten in Verbindung gebracht wurden und vielfach Künstlerkolonien besuchten, war ein häufiges Phänomen.2 Auch Ubbelohdes Lebensweg ist Beweis dafür, dass unter verschiedenen Künstler/innen ein reger Austausch bestand, ohne sich einer festen Gruppierung und einem festgelegten Ort zu verpflichten. Die für Otto Ubbelohde prägendsten Stationen werden im Folgenden skizziert, um schlussendlich ein tiefergreifendes Verständnis für seinen persönlichen Kunst- und Wirkungsraum im Lahntal entwickeln zu können. Worpswede und die Abspaltung vom Akademismus Insgesamt drei Aufenthalte Ubbelohdes in Worpswede sind durch schriftliche und künstlerische Zeugnisse belegbar. Im Herbst 1889, dem Gründungsjahr der Künstlerkolonie, reiste Ubbelohde mit dem befreundeten Erich Otto Engel in das kleine Örtchen bei Bremen. Gemeinsam besuchten sie ihren Studienkollegen Hans am Ende, der sich kurz darauf entschloss, sich dauerhaft Von Marburg über Künstlerkolonien nach Goßfelden KRISTINA GANSEL

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