Leseprobe

44 gegen Ende des 19. Jahrhunderts bereits überwunden und um hellere und dunklere Töne erweitert hatte. Eine klare Abgrenzung von der staatlich geförderten akademischen Malerei gelang den Künstlern allerdings damals nicht: »Sowohl bei in der Worpsweder Malerei als auch bei Ubbelohde lassen sich Verschmelzungen von impressionistischen und akademischen Darstellungsweisen finden, deren Eigenwilligkeit aber nicht allein in der Rückwendung zum Bild der Natur besteht, sondern vornehmlich in Erweiterung dieses Bildes zu einem Bild des Lebens überhaupt«,5 so Bernd Küster 1982. Aussagekräftige, schriftliche Zeugnisse Ubbelohdes über seine Zeit in Worpswede sind nicht erhalten. Begreift man jedoch auch die entstandenen Zeichnungen und Malereien als Kommentare zu der dort erlebten Zeit, so kann das Worpsweder Bauernpaar (Kat. 22) Einsichten über seine Haltung gegenüber der Künstlerkolonie bieten. Dargestellt ist ein mächtiger, leicht vorgebeugter älterer Mann in traditioneller Tracht mit steifem Hut auf einem schräg gegen die Wand gekippten Holzstuhl. Über ihm, an der Wand hängend, befindet sich Küchengerät, auf dem Boden ein grüner Eimer. Im Hintergrund, frontal zum Betrachtenden, sitzt eine Frau mit gesenktem Blick, lesend. Die Tracht der Dargestellten entspricht nicht zwangsläufig der Worpsweder, was darauf vermuten lässt, dass es sich hierbei eher um eine Erinnerung handelt, die erst später im Münchener Atelier umgesetzt worden ist.6 Der von Ubbelohde festgelegte Titel lässt jedoch keinen Zweifel aufkommen, dass es sich hier um einen Kommentar zur Worpsweder Zeit handelt. Die wuchtige Gestalt des Mannes auf dem etwas zu klein wirkenden, kippenden Stuhl hält eine Ironie bereit, mit der Ubbelohde möglicherweise auf den älteren Worpsweder Maler Mackensen zielte. Für den Marburger Maler erschien die Zurückweisung seitens der Gruppe schlussendlich kein allzu großer Verlust. Küster merkt hierzu an: »Die Topographie des Ortes bot ihm kaum eine Besonderheit, die er nicht aus Dachau kannte.«7 Die norddeutsche Landschaft hielt mit ihren flachen, kargen Mooren lediglich eine begrenzte Motivwelt bereit, die auf dem Kunstmarkt durch ihr begrenztes Angebot Attraktivität erzielen konnte. Die steigende Popularität der Region schuf ein Wettbewerbsverhältnis zwischen den Maler/innen, welches letztendlich wohl auch zu der allmächlichen Auflösung der Gruppe ab 1899 führte. Ein anhaltend freundschaftliches Verhältnis pflegte Ubbelohde zu Heinrich Vogeler, dessen ornamentale Jugendstilgraphik ihn nachhaltig für seine nach 1905 entstanden Illustrationen der Haus- und Kindermärchen der Brüder Grimm stark beeinflusst hat.8 Obgleich Ubbelohde zur Geburtsstunde der Kolonie vor Ort war und die Frühphase der Gruppe erlebte, so bleibt seine unmittelbare Beteiligung an der Gemeinschaft doch marginal. Seine kurzen Reisen in den Norden folgten immer auch einer privaten Motivation, wohnte doch seine spätere Ehefrau Hanna Unger in Bremen, was nahelegt, dass Ubbelohde bereits vor seinem erstmals dokumentierten Besuch 1884 das norddeutsche Umland bereiste. 3 VOM WEYERBERG HERAB um 1894/95, Öl/Lw., 47,5 × 67,0 cm, OUS

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