121 1 DIE SIEBEN RABEN Paneel aus dem Märchenfries für ein Kinderzimmer, 1899, Öl/Lw. 2 FRONTISPIZ aus: Benda 1904, S. 3 Expressionismus, Jugendstil und sogar der beginnenden Abstraktion, ist dies ein zentraler Gedanke, der sich letztlich aus der Romantik herleitet. Landschaft geht aber noch in einem anderen Sinne über die Natur hinaus, denn sie umfasst auch die Spuren menschlichen Wirkens in ihr: Dörfer, Häuser, Ackerflächen ebenso wie die in ihr agierenden Figuren wie Menschen und Tiere. Letztlich versteht sich Landschaft als eine Einheit aus all diesen Elementen. Unterstützt wird dies auch durch die Erkenntnis, dass schon zu Ubbelohdes Lebzeiten die Natur größtenteils durch menschliche Eingriffe umgestaltet worden war und sich das menschliche Wirken damit längst in sie eingeschrieben hat.14 Dafür sind seine Illustrationen zur Vorrede der Brüder Grimm bezeichnend. Ubbelohde betrat auch hier Neuland, denn außer ihm hat kein Illustrator die Grimmsche Vorrede beachtet. Auch indem er Ludwig Emil Grimms radiertes Portrait der »Märchenfrau« Dorothea Viehmann zum Vorbild für sein eigenes Portrait von ihr im Frontispiz nahm, knüpfte er an die Grimms an. Wie die Grimms in der Vorrede ausführen, fassen sie die Märchen als eine Art Naturpoesie auf. Märchen verstehen sie im romantischen Sinne als Werke ohne Autor, gleichsam absichtslos aus dem Unbewussten des Volkes entstanden. Für sie repräsentieren sie eine Einheit der Natur mit den in ihr lebenden Menschen.15 In Ubbelohdes begleitenden Bildern sehen wir mehrheitlich ländliche Figuren – einen Fischer, einen Schäfer, hessische Bauern (Abb. 3) –, die in Betrachtung der Natur und der Landschaft versunken sind. Man muss darin eine programmatische Absicht vermuten, denn Ubbelohde setzt bildlich um, was die romantische Idee der Naturpoesie meint. Es kennzeichnet seine eigene künstlerische Haltung, die die Vorstellungen der Grimms aufnimmt und wiederum die zeitgenössischen Vorstellungen um 1900 spiegelt: So wie der Mensch seinen Sinn durch die Einbettung in die Natur gewinnt, bekommt die Natur ihren Sinn erst in der menschlichen Wahrnehmung.16 Hier sind eine Wechselwirkung und ein Zusammenspiel am Werk und zugleich ein empfindliches, ökologisches Gleichgewicht. Daneben nimmt Ubbelohde die in der Vorrede betonte hessische Herkunft vieler Märchen17 durch die Verwendung hessischer Motive wie Glei- und Vetzberg bei Gießen oder der Milseburg in der Rhön auf. Seine Landschaften bilden zusammen mit den in sie eingebetteten Dörfern, Burgen und Kirchen den aufnehmenden Hintergrund für die Märchenfiguren. Das gilt nicht nur für die Illustrationen. In dem noch sehr im Sinne des Jugendstils gehaltenen Märchenfries für ein Kinderzimmer werden Landschaft, Architektur und Märchenpersonal in ihrer Gleichbehandlung als die Bildfläche rhythmisierende Farbflächen einheitlich zusammengeschlossen (Abb. 1). In der Radierfolge zum Eisenhans tritt uns der so verstandene Hintergrund – sei es der Wald als Heimat des wilden Mannes, die architektonischen Szenerien des Schlosshofs oder des königlichen Gartens – mit besonderer Eindrücklichkeit
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