Kristin Gäbler, Birgit Dalbajewa & Anke Fröhlich-Schauseil HANS CHRISTOPH E AUS MEINEM LEBEN RINNERUNGEN
R RU IN N N G NE E AUS MEINEM LEBEN HANS CHRISTOPH E Kristin Gäbler, Birgit Dalbajewa, Anke Fröhlich-Schauseil (Hrsg.) Städtische Sammlungen Freital Sandstein Verlag Dresden
Inhaltsverzeichnis 11 V orwort, Kristin Gäbler 15 Hans Christoph. Figuration – Abstraktion – Informel. Beobachtungen zur Form, Birgit Dalbajewa 29 Zum künstlerischen Schaffen und zur Forschungslage, Anke Fröhlich-Schauseil 33 Zum Text, Anke Fröhlich-Schauseil 38 Editorische Vorbemerkung, Anke Fröhlich-Schauseil 40 H ans Christoph: Erinnerungen aus meinem Leben 42 Motto 42 Kindheit 50 Das Dorf 56 Schulzeit 62 Studienzeit und Carl Lohse 64 Erna Lincke 68 Carl Lohse 71 Nordsee 74 Arnold Vieth von Golßenau (später Ludwig Renn) 75 Ost- und Nordsee 77 »Fides« 78 Ende der Studienzeit 80 Böhmerwald 81 »Der Nachkrieg« 82 Herr Meister 83 Goppeln 86 Nachkriegszeit 87 Lehrtätigkeit in Zittau 91 Holland 95 Wieder »Freischaffend« 98 Heirat 100 Neue Arbeiten 101 Niederelbe 105 Ausstellung Museum Zwickau 109 A uf Dresdner Ausstellungen 110 Wanderung am Main 112 Neue Arbeiten 114 Ostbahnstraße 118 Pol Cassel 120 Ludwig Renn 122 Vor 1933 126 Dresdner Sezession 1932 127 Otto Dix – »Der Krieg« 133 1933 136 Nach 1933 139 Rowe 144 Soldat 145 Opoczno 150 Spała 152 Sulwałki 155 Krakau 165 Görlitz 172 Heimkehrer 173 Nachkrieg 174 Neuer Anfang 176 Erste Ausstellungen 181 Neue Arbeiten 184 Ruinen 186 Z weite »Ruf«-Ausstellung 190 Hochschule für Bildende Kunst 205 Leipziger Messe 216 Impressionisten 218 Lockerungen 220 Eigene Ausstellungen 232 Notabene 233 Gedanken von Hans Christoph Mai 1976
236 Anhang 236 Lebenschronik 238 A usstellungsverzeichnis 242 W erke in öffentlichen Sammlungen 243 Quellen- und Literatur- verzeichnis 255 Abbildungsverzeichnis 260 Personenverzeichnis 274 Abkürzungen und Eigennamen 278 Bildnachweis 279 Dank 280 Impressum
Hans Christoph. Figuration – Abstraktion – Informel. Beobachtungen zur Form Birgit Dalbajewa 1921 traf der für jüngste Dichtung und Theater begeisterte Kunsterziehungsstudent Hans Christoph in Dresden auf den expressionistisch kühn malenden Carl Lohse, der ihn in der Ölmalerei unterwies. Im Ergebnis entstanden Landschaften in leuchtendem Gelb, Grün oder Rosa [Abb. 1]. Züngelnd wild sind die Silhouetten von Häusern, Feldern, Strauchwerk und Wolken dicht ineinandergefügt. Die Einzelformen, aufgetragen in dickpastiger, reliefbildender Farbe, sind in energisch rascher Pinselarbeit ausgeführt [»Goldene Höhe«, 1922, Abb. 16], Tiefenillusion ist vermieden. Christoph begann in seinem Werk, wo zwei, drei Generationen zuvor die so genannten »Patres« der Moderne, Vincent van Gogh, Paul Cézanne und andere, mit den Gesetzen des akademisch-wirklichkeitsgetreuen Abbildens gebrochen hatten: Das Bildgeschehen ist auf einer flachen Bildfolie zusammengeschoben. Die Farbe bezeichnet nicht mehr das reale Aussehen der Gegenstände, sondern ist Ausdrucksträger. Auch der leidenschaftliche Pinselduktus, vergröberte Formen und die bei aller Spontaneität wohlüberlegten, kontraststrotzenden Farbkonstellationen des deutschen Expressionisten Emil Nolde waren für Christoph Vorbild [»Nordsee«, 1923, Abb. 17]. Er durchlief gewissermaßen eine selbstgewählte Malschule des Expressionismus. Um 1923 herrschte im modernen Kunstbetrieb jedoch bereits Müdigkeit vom Pathos erregter Deformierung. Die gesteigerte Subjektivität eines zur Form gewordenen »Aufschreis« von Geist und Seele entsprach nicht mehr der Zeitstimmung, das »Ende des Expressionismus« und ein »Neuer Naturalismus« wurden nun diskutiert. Zwar hatten die Expressionisten gerade erst den Gegenwartskunstmarkt erobert. Doch nach der Krise der Hyperinflation und den Ernüchterungen im Ersten Weltkrieg suchte der Kunstbetrieb nun eher Werke, die solides Handwerk, eine feste, genaue Zeichnung betonten und häufig sogar einen persönlichen Duktus vermieden. »Neue Sachlichkeit« war unter den jungen Künstlern und Ausstellungsmachern nun gefragt. Viele linke, durch die Erfahrung des Expressionismus geprägte junge Künstler wie Hans Christoph stimmten in das neue Interesse an Schilderungen des alltäglichen Lebens ein, allerdings ohne Genauigkeit und Kühle der Darstellung zum Hauptziel zu erklären. Kritischer Realismus scheint hierfür die angemessenere Bezeichnung. In proletarisch-kleinbürgerlichem Umfeld wohnend, hatte Christoph die Widersprüche und Konflikte der »Goldenen Zwanziger« vor Augen. Soziale Aspekte, Ungleichheit in der Gesellschaft wurden neben der Suche nach neuen Ausdrucksmitteln nun für wenige Jahre sein Thema. Die Zeichnung seiner provokativ groß ins Bild gesetzten
16 Figuren blieb zunächst stark vergröbert und ins Flächige abstrahiert. Weit aufgesperrte Augen, übergroße Köpfe, unruhige Linienführung und Farbauftrag charakterisieren seine um 1925 entstandenen sozialkritischen Typenporträts und Gruppenbildnisse [Abb. 2, 20–22]. Schon vor 1910 hatte das Erlebnis der Formfindungen afrikanischer Holzbildhauer Europas Moderne entscheidende Impulse verliehen. Diese wirkten nach 1919 etwa in der Sprödigkeit des Holzschnittes der sogenannten zweiten Expressionisten-Generation in Deutschland nach, zum Beispiel im Schaffen von Conrad Felixmüller. Vergleichbar wie jener stellte auch Christoph überlebensgroß protestierende Arbeiter dar mit erhobener Faust und »vor innerem Fanatismus«1 geweiteten, durch Wiederholung der Umrisslinien formal stark betonten Augen, ebenso ein »Straßenmädchen« [Abb. 20], »Kleinbürger« [Abb. 21] usw. In diesen Werken entwickelte er für kurze Zeit bis circa 1932 einen unverwechselbaren, wiedererkennbar eigenen Figurenstil. 1927/28, nachdem Christoph nach einer Anstellung als Kunstlehrer in Zittau wieder freischaffend in Dresden tätig war, entstanden Figurenkompositionen, die das Milieu der 1920er Jahre in karikaturhaft zugespitzten Bilderzählungen einfingen: Bürger, Passanten, leicht bekleidete, im Rampenlicht in Reihe tanzende Revuetänzerinnen [Abb. 27 und 34]. Wie für die europäischen realistischen Kunst-Bewegungen dieser Jahre typisch, verfeinerte nun auch Christoph seine Figurenbilder sowohl in der maltechnischen Ausführung als auch im Realismusgrad. Abstrahierte bzw. deformierte Augen und Hände [Abb. 26] stehen nun im Kontrast zu betont realistisch, zuweilen fast hyperrealistsch ausgeführten Details, die Nacktheit zur Provokation werden lassen [»Akt mit Lebemann«, 1927, Abb. 35]. Er sei, so der Direktor des Zwickauer Museums Hildebrand Gurlitt in der Zwickauer Zeitung vom 7. März 1928, »[…] zu Bildern von nacktem Realismus übergegangen. Nie aber bleibt Christoph bei der oft ein wenig sterilen Kühle der neusachlichen 1 Hans Christoph, vgl. S. 85. 2 Hildebrand Gurlitt: »Hans Christoph«, in: Zwickauer Tageblatt 8. März 1928. 3 Fritz Löffler: Hans Christoph – Ausstellung in der Kunstausstellung Kühl im Juni 1976 [Eröffnungsrede], in: Kat. Cottbus 1991, S. 18–22, hier S. 19.
17 Malerei zweiten Ranges. Immer versucht er Farbe und Form anzureichern, Fülle und Wärme zu schaffen.«2 Fritz Löffler, der die 1945 zerstörten Bilder noch im Original gesehen hatte, beschrieb 1976 im Nachhinein: »Die sozialkritischen Gemälde, die bis 1929 entstanden, hatten auch die Maltechnik Christophs verändert. Er trug sie in Lasurtechnik vor und malte mit spitzem Pinsel. Der Einfluss der Technik von Otto Dix, der ja als erster wieder lasierte, bleibt hier unverkennbar.«3 Christophs »Selbstbildnis« [Abb. 41] und das auf Hartfaserplatte gemalte Rasenstück »Schwertlilien« [Abb. 48], um 1930 bzw. 1933 entstanden, sind schließlich – ganz ohne trocken beschreibend zu werden – in Form und Farbe zeittypisch noch gegenstandsnähere Schilderungen. Hier ist Tiefenräumlichkeit nun traditionell, nach den natürlichen Gesetzen der Luft- und Farbperspektive, gestaltet. Eine furchig-expressive Linienspannung und Modellierung etwa der Anzugsfalten und des Gesichts stehen weiterhin für Christophs erkennbar eigene Formideen und Handschrift. 1 »Strehlen«, 1921
Hans Christoph hinterließ ein eindrucksvolles, eng mit seinem Geburts- und Schaffensort Dresden verknüpftes künstlerisches Werk. Es ist geprägt durch die Nachkriegszeiten nach dem Ersten sowie nach dem Zweiten Weltkrieg – Ausnahmesituationen, in denen sich die politischen Umstände und Anforderungen, Werte, Lebensstile jeweils grundlegend änderten. Im Durchgang durch diese wechselhaften Zeiten bildete er seine Ansichten und seinen Stil, der sich dabei ebenfalls mehrfach wandelte. Zunächst erlebte Hans Christoph die fortschrittlichen und anspruchsvollen Ausbildungsmethoden der Kunstgewerbeschule, die er in seiner eigenen kunstpädagogischen Arbeit aufgriff: Als Zeichenlehrer entwickelte er Lehrbeispiele und vertrat Prinzipien, die aus der Reformbewegung und vom Bauhaus kamen. Noch nach 1945 wurden sie an der Kunsthochschule unter dem Einfluss des Architekten Mart Stam, der aus Weimar nach Dresden gekommen war, zunächst aufgegriffen, ehe sie den Forderungen nach einem sozialistischen Realismus weichen mussten. Zudem orientierte sich der junge Hans Christoph an der zeitgenössischen Kunst des Expressionismus. Für einige Dorfansichten [Abb. 1, 16, 24 und 25] sowie ein Gemälde der Nordsee [Abb. 17] wählte er unmittelbar Carl Lohses Malerei zum Vorbild, die ihn stark beeindruckt hatte. Ausdrücklich erwähnte er Oskar Kokoschkas Gemälde, die er auf der »Internationalen Kunstausstellung Dresden 1926« ausgestellt sah, aber auch die dort ebenfalls ausgestellten französischen Maler der Klassische Moderne.1 Populäre Motive der Neuen Sachlichkeit2 wie der »Bahnhof« [Abb. 34 und 37] sowie typische Vertreter seiner Gegenwart wie Arbeiter, Kleinbürger oder Revuetänzerinnen sowie Straßenszenen [Abb. 20–23, 27 und 35] prägten sein Schaffen in den darauffolgenden Jahren, in denen sein Triptychon aus dem Jahr 1923 ein Hauptwerk bildete.3 Aus den Jahren von 1921 bis 1924, als Hans Christoph an der Kunstgewerbeschule in Dresden studierte, und ab 1927, als er hier als freischaffender Künstler tätig war, ist der größte Teil seiner Werke verbrannt und verloren.4 Aus Erwähnungen in Zeitungsrezensionen der Jahre von 1928 bis 1932 geht hervor, mit welchem 1 Siehe Anm. 132. 2 Zu Begriff, Epoche und Vertretern der Neuen Sachlichkeit in Dresden vgl. Dalbajewa 2001. 3 Hans Christoph: »Arbeitertriptychon«, um 1923, Öl auf Leinwand; erhalten ist nur der rechte Flügel. Ders.: »Arbeiterfrau«, 1924, Öl auf Leinwand, 90 × 48 cm, Albertinum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr. 76/02 [Abb. 2]. 4 Erhaltene Werke führte er in einem handschriftlichen Werkverzeichnis unter dem Titel: »Die folgend aufgeführten / Arbeiten meiner Hand / sind Eigentum von / Helga Knobloch / P. A. XII 0136500 / Dresden 8051 / Gründelsteig 12 / Hans Christoph / Zum künstlerischen Schaffen und zur Forschungslage Anke Fröhlich-Schauseil
30 hoffnungsvollen Interesse sein künstlerisches Schaffen wahrgenommen wurde; darunter finden sich Beiträge von Hildebrand Gurlitt, der ihm in Zwickau und in Hamburg Einzelausstellungen ausrichtete und darüber selbst Zeitungsbeiträge verfasste.5 Die überlieferten Werke der 1930er Jahre zeichnen sich gegenüber früheren durch zunehmendes Abstrahieren aus; von Figuren sowie von Landschaften, deren Charakter dadurch auf besondere Weise hervortritt, bis hin zur völligen inhaltlichen Loslösung der Formen von einem Gegenstand. Einen tiefen Einschnitt bedeuteten der Beginn des Dritten Reichs und der Zweite Weltkrieg, in dem der Künstler vier Jahre lang als Wehrmachtssoldat dienen musste. Während seines Einsatzes bei der Militärgeografengruppe in Krakau genoß er das Privileg, ab und zu künstlerisch arbeiten zu können sowie neben anderen Dresdener Künstlern an der Ausstellung »Deutsche Künstler sehen das Generalgouvernement« mitzuwirken, die der ihm gleichgesinnte Fritz Löffler dort veranstaltete. Schließlich setzte die Zerstörung des Ateliers in der Dresdener Ostbahnstraße durch die Bombardierung im Februar 1945 diesem Lebensabschnitt ein Ende. Die meisten frühen Werke verbrannten. Nach dem historischen Einschnitt des Kriegsendes und Neuanfangs in den Trümmern der zerstörten Stadt wurde Hans Christoph 1949 zum Dozenten an die Dresdener Kunsthochochschule berufen. Unter dem Eindruck von Künstlern der Moderne wie Lyonel Feininger, Georges Braque und vor allem Pablo Picasso entstanden neue Aquarelle und Gemälde in einer gegenüber den Anfängen vollständig gewandelten Formensprache. Er setzte die Suche nach Ausdrucksmöglichkeiten der Abstraktion fort und testete systematisch unterschiedliche Stilformen aus. Ab 1946 war sein Name als Mitbegründer der Künstlergruppe »der ruf« auch in der Presse wieder zu lesen. Dresden, d. 1. IV. 1982 / 8027 Nürnbergerstr. 41« an; vgl. SLUB, Mscr.App. Dresd.2832,a, 68. Darin sind aus seiner gesamten Schaffenszeit insgesamt 83 »Tafel-Bilder« aufgeführt sowie 85 Aquarelle, acht Tempera-KaseinWerke, 133 Gouachen, zahlreiche Zeichnungen, 19 Farbstift-Zeichnungen, 26 Collagen und 16 Monotypien. An selber Stelle befinden sich zudem zwei Skizzenbücher; vgl. SLUB Mscr.Dresd.App.2832.a, 73, 74. 5 Gurlitt 1928 a; Gurlitt 1928 b. 6 Kat. Marburg 2006, S. 27; darunter von Lea Grundig; vgl. ebd.: S. 42. 7 Hans Christoph: Bach im Schnee, Fotografie; vgl. SLUB, Mscr.App. Dresd.2832,a, 82 (12–14). Ders.: Fluss, Fotografie; vgl. SLUB, Mscr.App. Dresd.2832,a, 82 (10). Ders.: Felsen der Sächsischen Schweiz, Fotografie; vgl. SLUB, Mscr.App. Dresd.2832,a, 82 (11). 8 Kat. Cottbus 1991. 9 Kat. Dresden 2001, Christoph.
31 Als sich abzeichnete, dass die kulturpolitischen Forderungen nach einer Kunst des sozialistischen Realismus seine Werke als formalistisch ausschlossen und er von Studenten und Kollegen des Formalismus bezichtigt wurde,6 arbeitete der Künstler ab 1955 neben der gestalterischen Tätigkeit zum Broterwerb jahrelang vorwiegend im Stillen. Er informierte sich darüber, was nach 1945 zeitgleich in der westdeutschen und französischen Kunst geschah, und kannte das Schaffen zum Beispiel von Karl Otto Götz, Ernst Wilhelm Nay, Hans Hartung oder Pierre Soulages. Bestärkt durch diese gleichzeitigen Strömungen in Westeuropa, besonders die Kunst des Informel, weitete sich sein Blick seit der Mitte der 1960er Jahre motivisch bis hin zu Strukturen des Mikro-und Makrokosmos. Zudem interessierten den passionierten Wanderer natürliche Strukturen von Gewässern, Schnee oder Felsformationen in der Sächsischen Schweiz, wie von ihm überlieferte Fotos zeigen.7 Dafür fand er künstlerische Entsprechungen in Tropf-, Spritz- und Schlierenbildern, aufwendigen Mischtechniken und experimentellen Collagen. Doch erst ab der Einzelausstellung in der Kunstausstellung Kühl im Jahr 1976 trat der inzwischen Fünfundsiebzigjährige mit einem in jahrzehntelanger Zurückgezogenheit entstandenen, vielseitigen und umfangreichen Hauptwerk wieder in die Öffentlichkeit. Einzelausstellungen in den Galerien Wort und Werk, Kunst der Zeit, Comenius und der Galerie am Sachsenplatz in Dresden und Leipzig folgten. 1991 widmete das Museum in Cottbus dem Künstler eine Ausstellung;8 und ein Jahr darauf fand eine Gedenkausstellung in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Galerie Neue Meister, statt, wenn auch ohne Publikation. Ein Jahrzehnt später folgte auch in Dresden im Stadtmuseum eine Ausstellung mit Katalog.9 Dabei war es das Verdienst der dortigen Direktorin Christel Wünsch, den Kontakt zu Helga Knobloch gepflegt, Hans Christophs Werke kuratiert und mehrere hochrangige Arbeiten in die Sammlung aufgenommen zu haben. In den folgenden Jahren waren es vor allem Fritz Löffler, Reinhild Tetzlaff und Gunter Ziller, die sich mit Eröffnungsreden sowie Presse- und Katalogtexten für den Künstler einsetzten. Den Kunsthistoriker und Publizisten Fritz Löffler, der ab 1927 als Assistent am Dresdener Stadtmuseum tätig war, kannte Hans Christoph schon mindestens seit 1932, als jener die Leitung der »Dresdner Sezession 1932« übernommen hatte. Seit einer Kulturbund-Austellung in der Galerie Comenius 1988, vor allem aber seit der Einzelausstellung anlässlich seines neunzigsten Geburtstages in den Brandenburgischen Kunstsammlungen Cottbus 1991,
32 engagierte sich auch die Kunsthistorikerin Reinhild Tetzlaff für ihn. In den folgenden Jahren verfasste sie als Leiterin der Universitätssammlungen Kunst+Technik an der TU Dresden Reden und Presseartikel zu seinem Schaffen, hauptsächlich zu seiner informellen Malerei. Kurz bevor Hans Christoph im hohen Alter von 88 Jahren wiederum eine politische Wende erlebte, schenkte er im Dezember 1988 drei frühe Gemälde in der Galerie Neue Meister der Staatliche Kunstsammlungen Dresden [Abb. 3, 16 und 17].10 Ein weiteres, 1970 datiertes abstraktes Werk [Abb. 4] wurde 1989 vom Künstler erworben.11 Nach der politischen Wende widmete der Galerist Gunter Ziller die erste Ausstellung in der von ihm 1991 mitbegründeten galerie am blauen wunder in Dresden-Loschwitz dem Künstler zu dessen neunzigsten Geburtstag; 1996 und 2002 folgten postume Ausstellungen der »drip paintings« und Lackbilder sowie Collagen. Außerhalb Dresdens war es Sigrid Hofer, die ein Forschungsprojekt zur Informellen Malerei in der DDR an der Universität Marburg leitete und in diesem Zusammenhang Collagen, Tuschezeichnungen, Gouachen und Tropfbilder von Hans Christoph 2006 in Marburg, Halle und Dresden ausstellte. Gemeinsam mit Werken von Hermann Glöckner, Hans Jüchser, Edmund Kesting, Herbert Kunze, Wilhelm Müller und Helmut Schmidt-Kirstein wurden seine Bilder dort als Beispiele für »Gegenwelten. Informelle Malerei in der DDR« angeführt und im Katalog erstmals in den Zusammenhang der europäischen Kunstgeschichte der Nachkriegszeit eingeordnet.12 Im Jahr 2016 verfasste schließlich Ulrike Ide ihre Masterarbeit speziell zur Entwicklung der informellen Malerei dieses Künstlers.13 Bereits 2011 hatten Birgit Dalbajewa und Kristin Gäbler die Idee, das Manuskript seiner Erinnerungen herauszugeben. Die Ausstellung »Was ich liebe, möchte ich darstellen. Der Dresdner Künstler Hans Christoph« in den Kunstsammungen Freital bildet nun den willkommenen Anlass, seine kunst- wie kulturhistorisch aufschlussreichen Lebenserinnerungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. 10 Der damalige Direktor der Galerie Neue Meister, Horst Zimmermann, dankte am 12. Januar 1989 dem Künstler für die Schenkung dreier Gemälde aus den 1920er Jahren; vgl. SLUB, Mscr.Dresd.App.2832, 22–31. Sie wurden 1992 inventariert; vgl. Kat. Dresden 2010, S. 66. 11 Kat. Dresden 2010, S. 67. 12 Kat. Marburg 2006, S. 25–30, S. 98–120, S. 252 f., Nr. 1–21. 13 Ide 2016.
Die unmittelbarste und differenzierteste Ausdrucksmöglichkeit, die »Sprache« des Künstlers, bilden seine Werke. Hans Christoph verfasste seine Lebenserinnerungen hingegen nicht mit dem Anspruch, schriftsprachliche Kunst, also Literatur, zu schaffen. Vielmehr wollte er sich – angeregt von der Dresdener Ausstellung »Kunst im Aufbruch. Dresden 1918–1933«, in der auch neun seiner Werke aus den Jahren von 1924 bis 1932 ausgestellt wurden1 – seinen künstlerischen Anfängen zuwenden, wollte diese Revue passieren lassen und das niederschreiben, woran er sich im Alter von achtzig Jahren erinnerte. Wie beispielsweise bei der Betitelung seiner künstlerischen Werke ging er auch hierbei überlegt und systematisch vor: Er erläuterte zunächst kurz seine Intentionen, erklärte, warum er welche Abbildungen und Rezensionen einfügte, und begann anschließend mit der chronologischen Niederschrift der Erinnerungen. Ausdrücklich führte er Werke der Alten Meister und der Klassischen Moderne sowie von Kollegen an, die ihn beeindruckten. Zugleich schrieb er in dem Bewusstsein, mehrere Epochen mit- und übererlebt zu haben. Dabei schien für ihn das Gefühl der Vergänglichkeit zugrunde gelegen zu haben – das Bewusstsein, dass diese Zeiten unwiderbringlich vorbei waren. Frühe Eindrücke aus seiner Kindheit vor dem Ersten Weltkrieg wollte er vor dem Vergessen retten und die Erinnerungen an Studienzeit und künstlerisches Schaffen sowie an ausgedehnte Reisen und das vielfältige kulturelle Leben in der Zeit bis 1933 bewahren. Neben Kunstausstellungen beeindruckten ihn Lesungen, Theater- und Tanzaufführungen sowie besonders Konzerte; er selbst war mit Klavierunterricht aufgewachsen. Er genoss den Kontakt zu Künstlerkollegen ebenso wie zu Tänzerinnen und Musikern. Interessiert und beeindruckt nahm er auch die Leistungen von Malerinnen, Bühnenkünstlerinnen usw. wahr, darunter vor allem das Schaffen seiner Lebensgefährtin Erna Lincke [Abb. 19, 29–33 und 40], an dem er ausdrücklich Anteil nahm. Namentlich war es ihre konzentrierte Beobachtungs- und Arbeitsweise, die ihn zunächst anzog. Dass Frauen gleichberechtigt künstlerisch gleichrangige Werke schaffen, war für Hans Christoph von Anfang an selbstverständlich. Dies erlebte er beispielsweise auch bei dem befreundeten Malerpaar Erhard Hippold und Gussy Hippold-Ahnert oder der von ihm geschätzten Ausdruckstänzerin Dore Hoyer. Zum Text Anke Fröhlich-Schauseil 1 Kat. Dresden 1980, S. 238 f., Nr. 41–49.
34 Zahlreiche Autoren, Künstler und Interpreten in- und außerhalb Dresdens erweiterten seinen Horizont und regten ihn zu eigener künstlerischer Auseinandersetzung an. In der Verdichtung kann das gelegentlich wie name dropping wirken, etwas atemlos, als wolle er verhindern, dass ein Name, eine Begegnung, ein Eindruck vergessen werde. Dabei stellt sich heraus, dass Hans Christoph mit namhaften Künstlerpersönlichkeiten nicht nur der Zwischenkriegszeit, sondern auch nach 1945 freundschaftlich verbunden war und zusammenarbeitete. Neben der Künstlerin Erna Lincke seien der Schriftsteller Arnold Vieth von Golßenau, der sich selbst Ludwig Renn nannte, der expressionistische Maler Carl Lohse sowie der hochbegabte, schon 23-jährig verstorbene Bildhauer Werner Mothes [Abb. 39 und 40] hervorgehoben. Ihn und Erhard Hippold holte Christoph aus Zwickau nach Dresden. Er führte sie in Bischofswerda im Kreis um Carl Lohse ein, wo sie in den Freundeskreis der Familien Hebenstreit und Scheumann aufgenommen wurden, dem auch Arnold Vieth von Golßenau, die Gurlitts sowie der Maler Paul Kother, der Musiker Arthur Chitz und der Schauspieler Erich Ponto angehörten. Um Eindrücke und Einflüsse nachvollziehbar zu machen, aber auch Lebensabschnitte des Aufatmens, der Bildung sowie der Arbeitsaufenthalte zu benennen, ging Hans Christoph ausführlich auf größere Reisen ein, die er mit Vieth von Golßenau, Erna Lincke und Rose Scheumann oder später mit Helga Knobloch unternommen hatte. Erneut vergegenwärtigte er sich die Routen, Aufenthalte, Begegnungen mit Einheimischen und Natureindrücke, was angesichts seines räumlich engen Kreises während der Zeit der Niederschrift kein geringer Schreibgrund gewesen sein dürfte. Interessant ist dabei auch, was Hans Christoph nicht formuliert. So beschreibt er, dass er mit Erna Lincke und mit Helga Knobloch, die ihm zunächst jeweils als Kommiltonin bzw. als Studentin begegneten, wochenlange Reisen unternahm; sie wurden schließlich in den 1920er bzw. den 1950er Jahren zu seinen Lebensgefährtinnen. Nähere Details oder Vorstellungen von Liebe und Verbindlichkeit in der Partnerschaft thematisierte er nicht; aus Diskretion, doch vermutlich auch aus einer gewissen Sprachlosigkeit heraus – so wie sein Augenmerk generell weniger auf inneren Vorgängen und Beweggründen als auf den äußeren Ereignissen lag. Allenfalls könnte die abstrahierte Darstellung »Tragödie« [Abb. 59] mit einer männlichen und zwei weiblichen Gestalten als ein Hinweis auf seine persönliche Situation gelesen werden. Ein weiteres Ziel des hier nun vorliegenden Textes war es, sich selbst und künftige Leser an jene Gemälde, Aquarelle und Zeichnun-
35 gen von seiner Hand zu erinnern, die durch die Zeitläufte – vor allem schlagartig durch die Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 – verloren gegangen waren. Neben eigenen Erinnerungen, beispielsweise an das »Arbeitertriptychon« von 1923, dienten dazu vor allem Zeitungsrezensionen, in denen einzelne Werke wie die »Tillergirls« [Abb. 27], » Unglück« [Abb. 36], »Das Fräulein Lehrerin« oder »Dresdner Hauptbahnhof« [Abb. 37] ausdrücklich hervorgehoben wurden. Aus der Rückschau aus einer von der DDR-Kunstpolitik bestimmten Zeit müssen den Künstler diese unwiederbringlichen Verluste an qualitätsvollen Werken besonders geschmerzt haben. Doch gehörte es angesichts weitaus größerer Katastrophen des 20. Jahrhunderts auch zum Stil seiner Generation, diese Verluste zukünftigen Lesern lediglich sachlich darzulegen; aus der Menge und Vielfalt der erwähnten verlorenen Kunstwerke ergibt sich die Klage. Viele Erinnerungen betreffen die Nöte der täglichen Existenz als mittelloser Kunststudent, die Erlebnisse während der Zeit als Wehrmachtssoldat oder nach der Rückkehr in das zerbombte Dresden. Dabei schilderte er die Zeit als Soldat von 1941 bis 1945 recht ausführlich; die Kriegserlebnisse waren im Gedächtnis auch nach vierzig Jahren noch präsent. An Begegnungen, Orte, Natureindrücke und schließlich die Auflösung der Wehrmacht, Heimkehr und Ankunft in den Ruinen der Heimatstadt erinnerte er sich detailiert. Über die Jugend- und Studienjahre sowie die Zeit als bildender Künstler und als Wehrmachtssoldat hinaus erstreckt sich Hans Christophs Erinnerung aus gelegentlich reflektierendem Abstand auch auf die Jahrzehnte der DDR. Als Dozent an der Hochschule für Bildende Künste erlebte er innerhalb des Kollegiums kulturpolitische Auseinandersetzungen, bei denen es um eine geistige Neuausrichtung, doch unter der Oberfläche zugleich auch um die Verstrickung mancher Kollegen mit dem gerade erst überwundenen NS-System ging. Er selbst war Vorwürfen des Formalismus ausgesetzt und ging weiteren Konflikten schließlich aus dem Weg, indem er gemeinsam mit Helga Knobloch sein Brot als Gebrauchsgrafiker verdiente und nur im Stillen künstlerisch tätig blieb. Als er seine Erinnerungen 1980/81 niederschrieb und als Fünfundachtzigjähriger 1986 nochmals durchsah, war an ein Ende der herrschenden politischen Verhältnisse nicht zu denken. Es entsteht der Eindruck, als habe er seine Lebenserinnerungen in der Zurückgezogenheit bewusst für ein späteres Publikum verfasst. Beeindruckt steht der heutige Leser vor der Fülle der Kunst und der Zahl der Künstler. Wenn der Verfasser die Rolle einzelner Persön-
E R R I N N E AU S ME I N E N E B M L E HANS CHRISTOPH
Zunächst hatte ich mir vorgenommen einiges zu notieren, um mir Erlebnisse intensiver in Erinnerung zu bringen, die Ludwig Renn,1 mich betreffend, in seinen Büchern anders beschrieben hat.2 Hinzu kam der Wunsch, angeregt durch die Dresdner Ausstellung »Kunst im Aufbruch« 1980/81,3 mich mit meinen Arbeiten der zwanziger Jahre zu befassen. Dies bewirkte ein genaueres Eingehen auf meine Entwicklung seit der Kindheit und Jugend, von der erst vieles Spätere erklärbar wurde. In Verbindung damit stand die Erinnerung an den Alltag, in dem ich aufwuchs. Ich muss einige typische Umstände erwähnen, welche die Entwicklung in technischer und wirtschaftlicher Beziehung während der 80 Jahre meines Lebens sichtbar machen. Mein Blick war bisher immer nach vorn gerichtet, vor allem auf die noch geplanten Arbeiten. Diese wurden jetzt leider zurückgestellt, denn die Retrospektive nahm mich gänzlich gefangen. Dresden, den 12. 10. 1980 VORWORT 1 Ludwig Renn, war der Künstlername von Arnold Vieth von Golßenau, einem aus einem sächsischen Adelsgeschlecht entstammenden Offizier und Schriftsteller, mit dem Hans Christoph befreundet war. 1928 wurde er Mitglied der KPD und des Rotfrontkämpferbundes, ehe er 1928 nach Berlin zog. 2 Ludwig Renn: Anstöße in meinem Leben, Berlin 1980. 3 »Kunst im Aufbruch. Dresden 1918–1933«; vgl. Kat. Dresden 1980. U N G N E
42 Ich habe einige Fotos und Bildreproduktionen als Beispiele meiner Entwicklung als Maler dem Text zugefügt. Die mit + bezeichneten Bilder sind 1945 beim Angriff verbrannt. Die Fotos Seite 2b–7b sind von meinem Vater4 erhalten geblieben. Die folgenden Fotos, auch ein Teil der Bildrepros, sind von mir. Rezensionen habe ich meinem Text zugefügt, um dadurch dem Leser eine bessere Vorstellung der ausgestellten Arbeiten zu ermöglichen. »Der wahre Künstler fängt erst dann an recht zu leben, wenn seine Gebeine längst vermodert sind. So war es, so ist es und so wird es sein, und dabei kann man sich beruhigen.« Hans von Marées (kurz vor seinem Tode 1887) MOTTO Geboren 1901, wuchs ich mit meinem drei Jahre jüngeren Bruder5 bei meinen Eltern in Dresden auf [Abb. 6–9]. Die Wohnung lag im Osten der Stadtmitte. Die Straße,6 die vom »Großen Garten« nach der Elbe führte, kreuzte eine Ausfallsstraße, welche die Innenstadt mit den noch weiter außerhalb gelegenen Stadtteilen verband. Wenn ich in der Weihnachtszeit früh im Bett gleichmäßige Schellentöne hörte anstelle des sonst wahrnehmbaren »Klick-Klack« von Hufschlägen der Pferde, musste ich schnell ans Fenster springen, denn ich wusste, dass der nun lang ersehnte Schnee gefallen war. Die Pferdefuhrwerke der Fleischer und Gemüsehändler kamen schon früh vom Schlachthof oder aus der Markthalle mit neuer Ware zurück. Im Winter musste wegen des schalldämpfenden Schnees den Pferden das Schellengeläute am Kummt befestigt werden. Die Mutter holte von der Wohnungstür aus einem Säckchen die frischen Semmeln und den Milchtopf. Säckchen und Topf waren am Abend vor die Tür gehängt bzw. gestellt worden. KINDHEIT 4 Carl Ernst Christoph war kaufmännischer Angestellter und Hobbyfotograf. 5 Edgar Christoph, Hans Christophs jüngerer Bruder. 6 Wintergartenstraße 37.
6 »Terrassen-Ufer« mit Augustus-Brücke 7 Hans Christoph (mit fahrbarem Holzpferd), um 1903/04 9 Hans Christoph (mit Spielhund), um 1905 8 Hans Christoph mit Bruder und Mutter, 1905
70 Als dann Lohse seine Bilder zurückholen wollte, fehlten ihm einige Rahmen, die er um Bilder von Dix wiederfand. Dix, zur Rede gestellt, hatte geantwortet: »Was dein ist, ist auch mein«. Bei meinem nächsten Besuch in Bischofswerda war Lohse nicht mehr da. Er war nach Hamburg zurückgekehrt. Doch wurde ich zu weiteren Besuchen aufgefordert. Leider hatte Lohse unterdessen, wahrscheinlich ermüdet durch die intensive schöpferische Arbeit der letzten Jahre und enttäuscht über das mangelnde Echo auf seine Ausstellung, einige seiner schönsten Bilder überarbeitet, zum Teil auch mit Silberbronze und gelegentlich bis über die Rahmen hinaus. Sie waren dadurch weicher geworden und hatten etwas von der ursprünglichen Kraft eingebüßt. In Dresden kaufte ich mir nun Pappen und begann mit Ölfarbe zu malen. Ich liebte unsere bergige Landschaft um Dresden. So fuhr ich mit meinem Rad meist in südliche Richtung und machte Zeichnungen mit Farbangaben, um zu Hause danach zu malen. Oft nahm ich aber auch Malzeug und Pappen mit in die Landschaft. Der Rückweg mit den nassen Bildern, meist um 75 × 100 cm im Format, machte oft Schwierigkeiten. Es entstanden auch viele stark farbige Porträts, die Köpfe meist überlebensgroß und im Wesentlichen in einer in sich abgewandelten Farbe gehalten, die dem Wesen des Modells entsprach. Gern saß ich an der Elbe, um Wasserstudien zu machen. Mein Lieblingsplatz war dicht unterhalb der Marienbrücke, wo sich ein kleiner, flacher und schmaler Damm in den Fluss erstreckte.75 Vorn, an der Spitze sitzend, war ich ganz vom Wasser umgeben. Wenn ich mich, wie oft auch später, tagelang beim Unterricht nicht sehen ließ, war Prof. Hermann tolerant. Ich brachte ihm dann und wann ein Bündel meiner bemalten Pappen mit, die ihm imponierten. Er bat sie sich immer für einige Tage aus, um sie seinem Freund und Kollegen, dem Architekten Prof. Menzel,76 zu zeigen. 75 Die Marienbrücke – bestehend aus einer Eisenbahn- und einer Autobrücke – verbindet in Dresden über der Elbe die Wilsdruffer Vorstadt mit der Inneren Neustadt. 76 Oskar Menzel wirkte als Architekt in Dresden und Radebeul. 77 Es handelt sich um die kleine bewohnte Nordseeinsel Neuwerk im Wattenmeer.
71 Durch gemeinsame weltanschauliche und künstlerische Interessen entwickelte sich eine enge Freundschaft zwischen Erna Lincke und mir. Wir wollten während der Semesterferien die See kennenlernen, und da wir beide wenig Geld hatten, musste dies zu Fuß geschehen. Ich zog mit dem Lineal einen Strich auf den Messtischblättern von Magdeburg bis Bremen, der unsere Marschroute ergab. Bis Magdeburg fuhren wir mit dem Bummelzug. Im Rucksack waren außer dem Schlafsack Lebensmittel, Stifte und Aquarellblock und obenauf der Kochtopf. Gemüse, Kartoffeln und Brot konnten wir bei den Bauern kaufen. Geschlafen wurde in Scheunen, einmal sogar beim Bürgermeister im Kittchen, der uns allerdings frisches Stroh zur Verfügung stellte. Von Magdeburg ging es planmäßig über Helmstedt, quer durch die Lüneburger Heide mit den strohgedeckten, zwischen hohen Laubbäumen versteckten Einheitsbauernhäusern aus Ziegelfachwerk. Streckenweise wanderten wir entlang der Aller oder durch Moore über Fallingbostel und Verden nach Bremen. Nach einem Ruhetag erreichten wir über Worpswede, in dem von der einstmaligen weltbekannten Künstlerkolonie nichts mehr zu spüren war, Bremerhaven. Hier sahen wir zum ersten Mal Überseedampfer am Kai liegen. Da wir gern einen solchen »Kahn« auch auf Deck und im Inneren gesehen hätten, trugen wir unseren Wunsch einigen Kapitänen oder Offizieren deutscher Schiffe vor. Nach abschlägigen Bescheiden hatten wir Glück bei einem Engländer. Wir sollten nur den Maschinenraum nicht betreten und keine Angst vor den Chinesen an Bord haben. Bei unserer eingehenden Besichtigung kamen wir auch in das Zwischendeck. In dem niedrigen dunstigen Raum wimmelte es von Chinesen, die an langen Holztischen aßen. Wir wurden gleich zum Reis eingeladen, aber irgendwie war uns in der ostasiatischen Atmosphäre etwas unheimlich. Wir wanderten auf dem Deich weiter, sahen die sich trichterförmig erweiternde Wassermündung mit den ein- und ausfahrenden Schiffen und hörten das unaufhörliche Brausen der Brandung. Hier gab es kein Brot, auch die Bauern hatten für sich selbst keins. Wir lebten mehrere Tage lang von Eiern und Zucker. Kurz vor Cuxhaven, von dem Ort Duhnen aus, sieht man etwa 10 km entfernt im Meer eine kleine Insel.77 Natürlich durch die Erdkrümmung bedingt nur die obere Hälfte der Bäume und des von Störtebecker im 15. Jahrhundert erbauten Turms, der heute als Leuchtturm vor der Elbemündung dient. NORDSEE
72 Während der Ebbe ist die Insel zu Fuß erreichbar. Die Einwohner wussten, wann die Zeit günstig zum Aufbruch war, und bei klarem und beständigem Wetter gingen wir, den Rucksack auf dem Rücken und die Sandalen in der Hand, ins Wattenmeer. Zuerst war der Boden schlammig, dann wurde er fest, aber sehr höckerig. Schon weit draußen erreichten wir den ersten Priel, eine nicht austrocknende Abflussrinne der Elbe. Sie war am Rande steil ins Watt eingeschnitten. Ich versuchte, der Grund lag etwa knietief. Da Erna kleiner ist, ging ihr das Wasser bis an die Oberschenkel. Aber die etwa 50 m breite Strecke wurde bewältigt und auch der zweite Priel durchwatet. Dann ging es über für die Füße unangenehm schneidende Muschelbänke, bis wir endlich den Inselboden erreichten. Wir umwanderten die Insel in etwa einer dreiviertel Stunde auf dem Deich, hinter dem einige kleine Gehöfte lagen. Im Leuchtturm war eine Jugendherberge vorhanden. Außer uns war aber niemand da, und wir konnten uns bis in die Nacht oben mit dem Leuchtturmwärter unterhalten. Er wusste uns viel Interessantes zu erzählen. Unter anderem auch von mehreren meist einheimischen Menschen, die durch plötzlich einsetzenden Nebel die Richtung verloren und in der Elbmündung ertranken. Am nächsten Tag traten wir den Rückmarsch durchs Watt an und erreichten dann, zwischen Marsch und Geest wandernd, über Ottendorf und Stade Hamburg. Der Hafen hatte etwas wirklich Faszinierendes für uns. Wir saßen oft lange an den Landungsbrücken von Sankt Pauli, um die großen Ozeandampfer zu betrachten und dem Gewimmel der kleinen Hafendampfer in dem ewigen Gewoge des Wassers zuzusehen. Der Blick vom »Michel« über den Hafen und die Elbe war für uns überwältigend, nicht nur weil gerade die Sonne über der Unterelbe unterging. Wir besuchten natürlich Lohse, der nun wieder bei seiner Mutter wohnte. Er machte einen gedrückteren Eindruck als in Bischofswerda. Leider war Lohse unter die Bibelforscher geraten.78 Wir sahen uns am nächsten Tage gemeinsam die Stadt an, und wo er es, wie auf dem Fischmarkt, für angebracht hielt, schnackte er mit den Menschen platt. Zwei neue Bilder gefielen mir sehr, besaßen aber nicht mehr die optimistische Gelockertheit wie die früheren Arbeiten. Es waren ein Großstadtbild und zwei Freunde in der Bahn. Auf der Rückfahrt nach Dresden hielten wir uns einen Tag in Berlin auf, das ich noch nicht kannte. Erna Lincke hatte hier früher eine Dekorationsschule79 besucht.
73 Die Verbindung mit Bischofswerda blieb auch erhalten, nachdem Lohse weg war. Erna Lincke wurde auch freundschaftlich aufgenommen. Im Atelier hatte Rose viele Bücher, die mich interessierten. Da waren vor allem einige Jahrgänge des »Kunstblatts«80 mit Abbildungen von Werken meist expressionistischer Künstler, die ich bisher noch nicht kannte. Die gesammelten Briefe mit Zeichnungen von van Gogh fanden mein Interesse ebenso wie die Sprüche und Epigramme von Christian Morgenstern voll von Verspottung des bürgerlichen Philistertums. Unter den Arbeiten von Lohse fand ich eine Anzahl Porträts, die meines Erachtens nicht in der Ausstellung bei Richter hingen. Ich musste feststellen, nachdem ich viele Bischofswerdaer kennen gelernt hatte, wie ähnlich Lohse diese Menschen trotz stärkster farbiger und formaler Umsetzung und Abstrahierung gemalt hatte. Dasselbe gilt von einigen meist überlebensgroßen Plastiken und Selbstporträts. Überraschend erschien Lohse vor meiner Tür in Dresden. Angeblich wollte er sich hier nach Arbeit umsehen. Es stellte sich jedoch bald heraus, dass er Hanna Scheumann wiedersehen wollte. Zwischen ihnen hatte sich in Bischofswerda ein sehr inniges Verhältnis angebahnt. Da dies ihren Eltern und Hebenstreits nicht unverborgen blieb, musste auch darum Lohse so schnell von Bischofswerda Abschied nehmen. Ein nur wenig bekannter Maler wäre ja für eine Heirat nicht standesgemäß gewesen. Nun wohnte er längere Zeit bei mir, d. h. bei meiner Mutter. Wöchentlich kamen die beiden »Mädchen« aus Bischofswerda zu Besuch. Leider hatte sich sein Bibelforscherfanatismus verstärkt. Er besuchte alle Menschen, die er hier kannte, um sie zu bekehren. Auch hatte er aufgehört zu malen, da Malen Sünde sei, und wollte auch mich davon abhalten. Nach Hamburg zurückgekehrt, verdiente er seinen Lebensunterhalt als Straßenbahnschaffner. 78 Aus der im späten 19. Jahrhundert gegründeten Vereinigung Ernster Bibelforscher, der deutschen Mitglieder der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung (IBV), gingen 1931 u.a. Zeugen Jehovas hervor. 79 Erna Lincke besuchte 1916/17 die Lewinsohnsche Schule für Schaufensterdekoration, eine Privatschule in Berlin SW 19, Leipziger Str. 86. Der Gründer und Leiter verfasste im Eigenverlag u. a. das Lehrbuch: Leopold Levinsohn: Prachtwerk deutscher Schaufenster – Dekoration, Berlin 1925. 80 Das von Paul Westheim herausgegebene Kunstblatt erschien ab 1917 in Weimar und ab 1918–1933 in Potsdam. Es war eine der führenden Zeitschriften zur zeitgenössischen Kunst in Deutschland.
74 Mit einem Bildnis von Lohse konnte ich schon in seiner Ausstellung nichts anfangen. Es war ein roter Kopf mit zwei grünen Ovalen als Augen, wie ich später erfuhr ein Porträt des Herrn von Vieth.81 Anscheinend konnte Lohse in seiner kraftvollen Natürlichkeit diesem adligen Herrn nicht voll gerecht werden. Herrn Arnold Vieth von Golßenau, der sich später Ludwig Renn nannte, lernt ich nun durch Dr. Hildebrand Gurlitt und durch Rose Scheumann kennen. Es war ein ehemaliger Offizier, der nach dem Kriege als Hauptmann verabschiedet wurde. Im Felde hatte der den jungen Leutnant Dr. Gurlitt kennen gelernt, mit dessen malender Schwester, wie ich schon erwähnte, Rose Scheumann befreundet war. Von Vieth arbeitete im Büro der »Fides«, einem Unternehmen, welches sein Jugendfreund und Kriegskamerad Rolf von Seydewitz82 mit einigen anderen Adligen, zumeist ehemaligen Offizieren, gegründet hatte.83 Es war die Zeit der Inflation. Die Mark sank mehr und mehr im Wert und in einer Schnelligkeit, dass Löhne und Gehälter sofort in Ware umgesetzt werden mussten. Hier konnte der nun verarmte Adel Schmuck, Gemälde und wertvolle Möbel in Kommission geben. In einem dem Büro benachbarten Laden wurden diese Dinge durch adlige Damen zu Verkauf angeboten.84 Einige der adligen Mitarbeiter blieben arrogant. Die meisten hatten sich aber schon der Entwicklung angepasst, wenige waren von Natur aus sympathische Menschen. Von Vieth und von Seydewitz legten Wert auf Kleidung und erregten Aufsehen, wenn sie sich in ihren neumodischen Knickerbockerhosen und den giftgrünen Kniestrümpfen auf den Straßen zeigten. Vieth lud mich ein, ihn zu besuchen. Er war 12 Jahre älter als ich, wirkte aber sehr jugendlich. Im elterlichen Hause hatte er sich im Dachgeschoss in einem Zimmer eingerichtet. Ich konnte es nicht richtig in Augenschein nehmen, da auf dem Tisch ein vierarmiger Leuchter aus dem ehemaligen Offizierskasino brannte. Vieth fragte mich, ob er mir etwas aus seinem Kriegstagebuch vorlesen dürfe. Ich bejahte es natürlich. Er sagte, dass es aus früheren Tagebuchblättern, seinen Erinnerungen und seinen Kompanieberichten zusammengestellt hätte. ARNOLD VIETH VON GOLSSENAU (SPÄTER LUDWIG RENN) 81 Carl Lohse: »Roter Klang (Bildnis Ludwig Renn)«, 1919, Öl auf Pappe, 71,5 × 45,5 cm, Albertinum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr. 79/31. 82 Rolf von Seydewitz, Offizier aus einem sächsischen Adelsgeschlecht, war ein Jugendfreund und Kriegskamerad von Arnold Vieth von Golßenau und gemeinsam mit ihm Mitbegründer der Galerie Neue Kunst Fides, Dresden. 83 Rudolf Probst sowie Rolf von Seydewitz und Eberhard von Haugk, Mitglieder der Fides Verwaltungs- und Vermittlungsgesellschaft m. b. H., gründeten die Galerie Neue Kunst Fides 1923 in der Zinzendorfstraße 2 a, Dresden. Ab 1928 war Probst alleiniger Besitzer der Galerie.
75 Mir gefiel sofort, was er las. Erstens waren die Tatsachen für mich interessant, aber vor allem gefiel mir seine einfache und anschauliche Ausdrucksweise. Noch oft las er vor, wenn ich bei ihm oder er bei mir war. Meine Mutter bereitete viel Bratkartoffeln, die dann auch sein Lieblingsgericht am Abend wurden. Dazu gab es ausgiebig guten Tee. Beim Vorlesen hatte ich zuweilen einige fragende Bemerkungen fallen lassen. Vieth gefiel es und er wünschte, mit mir das ganze Tagebuch noch einmal durchzugehen. Er meinte, meine Einwände und Vorschläge seien wesentlich für ihn. Er hatte das Manuskript auch einigen seiner adligen Kriegskameraden vorgelesen, und diese veranlassten ihn, eine Veröffentlichung zu erwägen. Nun wollte er das aber nicht mit dem wirklichen Namen der darin vorkommenden Personen tun und er musste sie durch Pseudonyme ersetzen. Ich konnte ihm darin auch behilflich sein, indem ich Namen aus meinem Bekanntenkreis, von Klassenkameraden, Mitstudierenden und Lehrern vorschlug, die zu den Charakteren der beschriebenen Personen passten. All das erforderte viel Zeit, bis er endlich einen Schlussstrich unter das Ganze setzen konnte. Auf einer zweiten Ferienwanderung mit Erna Lincke lernten wir die Nordsee von der dänischen Grenze bis Brunsbüttel kennen. Für die Hinfahrt wollten wir, wie so viele Andere auch, den bisherigen Wechselkurs der Mark ausnützen. Durch die dadurch entstehenden Zugverspätungen kamen wir erst nach Mitternacht in Berlin an und mussten für die Weiterfahrt den neuen Kurs zahlen. Unser Reisegeld wurde dadurch wesentlich geringer. Ein anschließend gemaltes Ölbild ist noch erhalten [Abb. 17]. In Berlin sahen wir auf der Rückfahrt die zeitgenössischen Bilder im Kronprinzenpalais, u. a. erstmalig ein Original von Picasso. Im folgenden Jahr wanderten wir von Stettin bis Stolpmünde und entdeckten geruhsame Fischerdörfer und schöne Landschaften. Der Aquarellblock wurde viel genutzt. Im Gegensatz zur Nordsee gab es hier einen mehr oder weniger breiten Sandstrand, kleine Dünen und Deeps. Es sind dies nur durch einen oft sehr schmalen Landstreifen von der See getrennte große Seen. OST- UND NORDSEE
136 Noch zweimal stellte die Sezession aus. Im Dezember 1933 zeigte sie in der Galerie Arnold Grafik ihrer Mitglieder, und 1936 im Kunstverein Altenburg und in Freiberg, wo ich auch das Bild »Heiland« ausstellte, an das ich mich nicht mehr erinnern kann. In der Sommerausstellung 1934 auf der Lennéstraße stellte ich die Ölbilder »Feldrain« und »Stillleben am Fenster« aus. Die Rezensenten begnügten sich jetzt zumeist mit der Aufzählung der ausgestellten Arbeiten. Eine Ausnahme bilden die Besprechungen der »Ausstellung Dresdner Künstler« in Zwickau, die Dr. Asche258 1936 arrangierte und in der ich eine Anzahl Aquarelle zeigte.259 Mit einigen Aquarellen beteiligte ich mich in diesem Jahr auch in der »Frühjahrs-Aquarell-Ausstellung« der Galerie Ferdinand Möller in Berlin.260 In der Ausstellung des Kunstvereins »Tier, Wald, Jagd« 1937 hing von mir das Bild »Gebirgswald mit Rehen«.261 In diesem Jahr fand die »NSDAP-Sichtungsschau« statt. Nunmehr stellte ich in Dresden im Wesentlichen nur noch Blumenbilder aus.262 Im Museum Görlitz konnte ich jedoch 1938 zwanzig Aquarelle zeigen und mich im Museum Breslau in der Ausstellung »Sächsische Künstler« mit Aquarellen beteiligen.263 Mit Blumenbildern [Abb. 49], Porträts und Gelegenheitsarbeiten versuchten wir uns einigermaßen über Wasser zu halten. Wir waren jetzt wieder viel in unserem Dorf. Die steinigen Feldraine, der große, mit Felsplatten durchsetzte Wald mit den kleinen sich überstürzenden Bächen und die Berghänge, an denen sich die Felder staffelten, boten uns genügend Anreiz zum Malen. Neben bildmäßig gestalteten Aquarellen entstanden nach Naturstudien im Atelier Bilder wie »Bergfelder mit Mühle«, »Böhmisches Bergland« [Abb. 52], »Kleiner Katarakt«, »Pilzsucherin« [Abb. 50]. NACH 1933 258 Der Kunsthistoriker Siegfried Asche war ab 1933 Museumsdirektor der Kunstsammlungen Zwickau und ab 1936 der Städtischen Kunstsammlungen Görlitz. 259 ep.: »Dritte Ausstellung im König-AlbertMuseum«, in: Neueste Sächsische Tageszeitung 18. Januar 1936. o. A.: »Dresdner Kunst im Zwickauer Museum«, in: Dresdner Nachrichten 21. Januar 1936. rb.: »Dresdener Aquarellmalerei. Ausstellung im Zwickauer Museum«, in: Zwickauer Tageblatt und Anzeiger 1. Februar 1936, mit Abb. 260 Der Kunsthändler Ferdinand Möller, ab 1918 Geschäftsführer der Freien Secession in Berlin, war Gründer der Galerie und des Verlags Ferdinand Möller. 261 Ernst Köhler-Haußen: »›Tier, Wald und Jagd‹. Eine neue Schau im Sächsischen Kunstverein«, in: Dresdner Nachrichten 27. Juli 1937. Richard Stiller: Tier, Wald und Jagd. Die Sommerausstellung im Kunstverein, in: Dresdner Anzeiger 5. Juli 1937. 262 Dr. Felix Zimmermann: »Ausstellung im Kunstverein. II«, in: Dresdner Nachrichten 18. Dezember 1940; dort wird Hans Christophs SonnenblumenBild erwähnt [Abb. 49]. 263 In beiden Museen ist bzw. war jeweils ein einziges Werk vorhanden: Hans Christoph: »Sommer am Main«, Aquarell, 32,3 × 46,8 cm, Görlitz, Kulturhistorisches Museum, Inv.- Nr. 213-38. Ders.: »Türkenbundlilie mit Diestel«, Aquarell, 1939 inventarisiert, Schlesisches Museum der Bildenden Künste in Breslau [heute Muzeum Narodowe we Wrocławiu], Inv.-Nr. 27212, Verlust.
49 »Verkauftes Bild« [»Sonnenblumen«], um 1939 48 »Schwertlilien vor Stacheldraht«, 1929
51 »Dreiecke und Sonne«, 1936 52 »Böhmische Berglandschaft«, 1932 50 »Pilzsucherin«, um 1933
139 In Dresden folgten »Stadtfrühling mit Plastik am Fenster«, »Dächer und Türme der Stadt«, »Frau mit Katze« [Abb. 46 und 47], »Liegende Frau mit Katze«, »Waldweg« [Abb. 45] und »Straßenbiegung«. Einige dieser Bilder sind noch erhalten, von einigen anderen habe ich Fotos [Abb. 50]. Viele sind mir jedoch nicht im Gedächtnis geblieben. Mein erstes abstraktes Bild mit rhythmisch geordneten Dreieckflächen auf gespachteltem Grund existiert noch [Abb. 51]. Diese Arbeiten sind gegenüber dem vorhergehenden straffer gebaut und flächiger, das Naturvorbild ist verdichteter und abstrahierter. Schwingende und wellenförmige Linien und Formen werden typisch. Ich konnte sie nicht mehr auf Ausstellungen zeigen. Wir brauchten dringend Abstand von den unangenehmen Alltagsereignissen. Da durch kleine Verkäufe und Aufträge im Bekanntenkreis einige Mittel vorhanden waren, planten wir eine Fahrt nach der Ostsee. Das Endziel unserer letzten Ostseewanderung war Stolpmünde gewesen. Nun zeigte die Karte weiter nach Osten eine langgestreckte Dünenkette bis in die Gegend von Leba.264 An ihrem Beginn war das kleine Fischerdorf Rowe265 verzeichnet. Da wir dieses Mal nicht wandern, sondern vor allem arbeiten wollten, schien uns dieser Ort, der am Abfluss eines großen Haffs, des Garder-See lag, für unser Vorhaben geeignet. Ich fragte beim Bürgermeister an, ob eine Unterkunftsmöglichkeit bei Fischern bestehe, und erhielt eine positive Antwort. Es war jetzt Mitte August. Da der Bus von der Bahnstation Stolp nach unserem Ziel nur während der Schulferien verkehrte, mussten wir etwa 20 km mit einem Mietwagen fahren. Wir kamen auf holprigen Straßen durch die kleinen Dörfer mit den niedrigen Bauern- und Landarbeiterhäusern aus Ziegel. An den Seiten der Kopfsteinstraßen lagen die Misthaufen und im Pfuhl sielten sich die Schweine. Es war ein interessanter Gegensatz zu unseren sauberen und gepflegten Dörfern in Sachsen. Nach der Fahrt durch ein kleines Gehölz sahen wir rechts über einer Ausbuchtung des Garder-Sees die »Weißen Berge«. Als solche waren sie auf der Karte bezeichnet. Diese hohen Dünenberge waren weiß wie Schnee und machten einen fast unwirklichen ROWE 264 Polnisch Łeba. 265 Polnisch Rovy.
140 Eindruck. Nun merkten wir schon, dass wir den richtigen Ort für unsere Arbeit ausgewählt hatten. Wir hielten vor einer kleinen Gaststätte, in der wir zunächst einmal unser Gepäck unterstellten konnten. Von der Veranda, in der wir einen Kaffee tranken, ging unser Blick zwischen Fischerhäuschen auf die versandete Mündung des Lupow, so heißt der Abfluss des GarderSees. Einige vertäute Fischerboote lagen am Dünenabfall rechts, und dahinter glänzten die Schaumkronen der offenen See. Nun führte uns der Weg auf der Suche nach einem Quartier über eine Holzbrücke auf die andere Seite des sich windenden Flusses, an dessen Ufern zwischen großen Weiden die Fischergehöfte und Boote lagen. Die strohgedeckten Häuschen zogen sich bis an den Fuß der Dünen, die den Blick auf die See versperrten. Wir gingen zurück auf die Seite des flachen Ufers und fanden dort ein kleines Fischeranwesen, das uns durch den freien Blick auf die See und die Lage am Fluss sehr gut gefiel. Die Fischerfrau zeigte uns ihr Zimmer, indem wir unterkommen konnten. Sie selbst wohnte im Sommer in einer kleinen Scheune. Und nun kam eine große Überraschung für uns – an den Wänden hingen zwei große Bilder von Pechstein,266 natürlich Reproduktionen. Auf unsere Frage erzählte uns die Frau, dass Pechstein fast zehn Sommer bei ihnen gewohnt hätte. Sie war also an solche Leute, wie wir es waren, gewöhnt, was für uns eine große Erleichterung bedeutete und eine erneute Bestätigung war, dass wir richtig gewählt hatten. Der Strand war etwa fünfzig Meter vom Haus entfernt. Dazwischen stand die kleine Bude mit dem Herzen an der Tür und unter großen Weiden eine etwas verwahrloste Gartenlaube. In dieser konnten wir auch bei Regen arbeiten [Abb. 53 und 54]. Durch die niedrigen kleinen Fenster steigend, wurde uns der Weg um das Haus mit seinem blumenüberfüllten Vorgarten erspart, sodass es möglich war, vom Bett direkt an den Strand zu gelangen. Für die Ernährung war auch gesorgt. Ein Gartenbesitzer verkaufte Gemüse, und abends wurde auf dem Küchenherd gekocht. Unser Vorsatz, uns bei dem schönen Wetter erst einmal einige Zeit am menschenleeren Strand liegend und badend zu erholen, gelang uns immer nur für kurze Zeit. Das Bedürfnis, die schöne Gegend zu durchforschen, war zu groß. Von der auf »unserer« Seite befindlichen Düne hatte man einen einzigartigen Blick auf die Flussmündung mit dem dahinter sich entlang der Küste streckenden Dünengebirge. Die Erkundungsgänge auf dieser Seite zeigten uns immer wieder neue Wunder an Dünengestaltungen. Hohe Dünen mit tiefen farbigen Schatten an den steilen Abfällen in die dazwischenliegenden Mulden,
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