Leseprobe

189 zen steht. Der andere nicht. Er gilt wegen seiner naturfernen Ausdrucksformen nach wie vor als suspekt, als gesellschaftlich abseitig, man spricht von l’art pour l’art, vom Elfenbeinturm, von Dekadenz. Sieht man sich aber die Künstler näher an, so stellt sich heraus, dass sie menschlich und politisch dieselben Schicksale hinter sich haben und zu den Problemen der Gegenwart nicht anders stehen als ihre Kollegen. Nur dass das, was sie Wirklichkeit nennen, anders aussieht und vieles einbezieht, dessen die gegenstandsnahe Kunst entraten kann, das Unbewusste, das neue Verhältnis zu Raum und Zeit, zu Stoff und Kraft. Es wäre verfehlt zu behaupten, dass diese Dinge mit Kunst nichts zu tun hätten, sie sind da und nicht mehr wegzudenken«. »Aber was ist Wirklichkeit! Die optisch fassbare Welt nicht mehr, dazu hat sich zu viel in der Welt ereignet auf natur- und geisteswissenschaftlichem Gebiet. Es wäre absurd zu glauben, die Kunst könnte im Zeitalter der Atomphysik und Quantentheorie mit der Postkutsche fahren«.375 In der Kunsthalle von Recklinghausen war 1957 eine Ausstellung »Verkannte Kunst« mit Werken der in der Nazizeit verfemter Künstler zu sehen. In einem umfangreichen Katalog mit vielen Abbildungen wurden Bilder früherer Maler dazu gezeigt, dazu im Text negative, zum Teil auch niederträchtige Kritiken ihrer Zeitgenossen.376 So schreibt von Ramdohr 1808 über C. D. Friedrich: »Wackerer Friedrich, und ihr Männer alle von Genie und Talent, die der Modeton eine Zeitlang von dem wahren Weg abführte, kehrt auf denjenigen zurück, den auch die Erfahrung als erprobt gezeigt hat«. Der Maler Meyer schreibt 1810 an Goethe: »Teils versteht dieser Freund durchaus nicht, was man malen soll und kann, teils hat er gar keinen Begriff von dem ihm zu Gebote stehenden technischen Mitteln... sodann ist er in der Anordnung schwach und weis Licht und Schatten nicht zu benutzen. Hieraus entsteht, dass er mit ungemeinem Fleiß und Kunstfertigkeit Bilder verfertigt, die weniger erfreuen, ja nach einiger Zeit sogar lästig werden«. Blechen schreibt in einem Brief an den Finanzrat Beuth: »Wie kommt’s nur, da die sinnige Verwaltung stets so sorgfältig wählt und verfügt und so reichlich belohnt, wieso ich nur derjenige bin, gegen den man so streng, ja hart bis zum Erbarmen ist?« Ähnliches ist über Daumier, Corot, Wasmann und Courbet zu lesen. Kurz vor seinem Tode schreibt Feuerbach: »Wer dient seinem Vaterlande besser, derjenige, welcher den Mut hat, die Wahrheit zu sagen, oder derjenige, welcher die auffälligsten Gebrechen mit patriotischer Lüge überklebt?« ... »Dieses wollte ich sagen, nicht um meiner selbst Willen, aber um der Wahrheit Willen und für künftige Zeiten.«

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