Leseprobe

Hans Christoph. Figuration – Abstraktion – Informel. Beobachtungen zur Form Birgit Dalbajewa 1921 traf der für jüngste Dichtung und Theater begeisterte Kunsterziehungsstudent Hans Christoph in Dresden auf den expressionistisch kühn malenden Carl Lohse, der ihn in der Ölmalerei unterwies. Im Ergebnis entstanden Landschaften in leuchtendem Gelb, Grün oder Rosa [Abb. 1]. Züngelnd wild sind die Silhouetten von Häusern, Feldern, Strauchwerk und Wolken dicht ineinandergefügt. Die Einzelformen, aufgetragen in dickpastiger, reliefbildender Farbe, sind in energisch rascher Pinselarbeit ausgeführt [»Goldene Höhe«, 1922, Abb. 16], Tiefenillusion ist vermieden. Christoph begann in seinem Werk, wo zwei, drei Generationen zuvor die so genannten »Patres« der Moderne, Vincent van Gogh, Paul Cézanne und andere, mit den Gesetzen des akademisch-wirklichkeitsgetreuen Abbildens gebrochen hatten: Das Bildgeschehen ist auf einer flachen Bildfolie zusammengeschoben. Die Farbe bezeichnet nicht mehr das reale Aussehen der Gegenstände, sondern ist Ausdrucksträger. Auch der leidenschaftliche Pinselduktus, vergröberte Formen und die bei aller Spontaneität wohlüberlegten, kontraststrotzenden Farbkonstellationen des deutschen Expressionisten Emil Nolde waren für Christoph Vorbild [»Nordsee«, 1923, Abb. 17]. Er durchlief gewissermaßen eine selbstgewählte Malschule des Expressionismus. Um 1923 herrschte im modernen Kunstbetrieb jedoch bereits Müdigkeit vom Pathos erregter Deformierung. Die gesteigerte Subjektivität eines zur Form gewordenen »Aufschreis« von Geist und Seele entsprach nicht mehr der Zeitstimmung, das »Ende des Expressionismus« und ein »Neuer Naturalismus« wurden nun diskutiert. Zwar hatten die Expressionisten gerade erst den Gegenwartskunstmarkt erobert. Doch nach der Krise der Hyperinflation und den Ernüchterungen im Ersten Weltkrieg suchte der Kunstbetrieb nun eher Werke, die solides Handwerk, eine feste, genaue Zeichnung betonten und häufig sogar einen persönlichen Duktus vermieden. »Neue Sachlichkeit« war unter den jungen Künstlern und Ausstellungsmachern nun gefragt. Viele linke, durch die Erfahrung des Expressionismus geprägte junge Künstler wie Hans Christoph stimmten in das neue Interesse an Schilderungen des alltäglichen Lebens ein, allerdings ohne Genauigkeit und Kühle der Darstellung zum Hauptziel zu erklären. Kritischer Realismus scheint hierfür die angemessenere Bezeichnung. In proletarisch-kleinbürgerlichem Umfeld wohnend, hatte Christoph die Widersprüche und Konflikte der »Goldenen Zwanziger« vor Augen. Soziale Aspekte, Ungleichheit in der Gesellschaft wurden neben der Suche nach neuen Ausdrucksmitteln nun für wenige Jahre sein Thema. Die Zeichnung seiner provokativ groß ins Bild gesetzten

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