16 leicht identifizierbar – dunkle Farben, kryptische Schriftarten, Spukschlösser oder weite arktische Landschaften, um nur einige Beispiele zu nennen. Dennoch gestaltet es sich schwierig, das Wort präzise zu definieren. Im Allgemeinen wird es als Stil verstanden, der Angepasstheit, Rationalität und Mäßigung zugunsten des Mysteriösen, des Irrationalen und Exzessiven ablehnt. Er legt einen Fokus auf Dunkelheit, Tod und die Vergangenheit. Umso erstaunlicher sind die Wandlungsfähigkeit und Ausdehnung des Begriffs, insbesondere in der Zeit nach der Jahrtausendwende, in der er lebensbejahende, skurril-komische und furchteinflößende Werke umfasst: So gehören sowohl der Filmemacher Tim Burton mit seiner spielerischen Herangehensweise als auch hochgruselige Geisterfilme zu dem Genre. Kunsthistoriker:innen und Museen haben sich zwar mit Themen befasst, die in Verbindung zum Horror stehen – wie beispielsweise Monster, Tod, der Apokalypse oder den Schrecken des Krieges –, jedoch haben sie speziell den Phänomenen »Gothic« oder »Horror« wenig kritische Aufmerksamkeit geschenkt. Noch bis in die 1990er-Jahre hinein wurde der Begriff »gotisch« weitestgehend im klassischen kunsthistorischen Sinn verwendet, um Arbeiten einzuordnen, die zwischen 1100 und 1500 auf dem europäischen Kontinent entstanden sind. Es gibt jedoch einige Ausnahmen, in denen das »Gotische« im Sinne von »Horror« Beachtung fand: Dazu zählen Ausstellungen wie Christoph Grunenbergs Schau Gothic am Institute of Contemporary Art in Boston im Jahr 1997, das Projekt Goth: Designing Darkness am Design Museum Den Bosch 2022 und The Horror Show im Londoner Somerset House 2022/23, die multimediale Ansätze aus Kunst, Film, Musik und Design miteinander verbanden. Die Ausstellung Schwarze Romantik im Städel Museum sowie dem Musée d’Orsay in den Jahren 2012/13 kann ebenfalls als einflussreiche intermediale Auseinandersetzung mit moderner Kunst angesehen werden, die von dunklen Träumen, Terror und Irrationalität geprägt ist. Um die vielfältigen Adaptionen des Horrors in der Gegenwart aufzuzeigen, ist es notwendig, eine breite Auswahl an Musik und visueller Kultur einzubeziehen. Ein solcher Beitrag kann jedoch niemals als vollständig angesehen werden. Es gibt zahlreiche Themen, die nicht berücksichtigt werden konnten, sei es in Bezug auf Künstler:innen aus verschiedenen Regionen und Zeiten oder das ganze Spektrum an unterschiedlichen Horrormotiven. Die Auswahl der Themen für diesen Essay und die Ausstellung erfolgten, um bestehende Chronologien zu durchbrechen und historische Veränderungen aufzuzeigen. Die Zusammenstellung der Werke zielt darauf ab, die begrenzten und oft abwertenden Assoziationen mit dem Motiv des Horrors aufzulösen, das Potenzial und die Tiefe dieses Genres hervorzuheben und eine Verbindung zwischen zeitgenössischer visueller Kultur und historischen Vorbildern herzustellen. Tod »Mein bleicher Körper wird bedeckt / Mit Sand und schwarzem Staube / Wird faulen Würmen zum Konfekt / Zum süßen Aas und Raube / Wer weiß ob nicht in diß Gebein / Sich Kröt’ und Eyder nisteln ein? / Ob nicht in diesen Armen / Die Natter wird’ erwarmen?«9 Erasmus Finx (1627–1694), Sterb-Lied / Der eitlen Schönheit Die schiere Unvorstellbarkeit, die Grenzen des Lebens zu überschreiten, ist eine Quelle der Angst und zugleich Ursprung unendlicher Faszination. Der französische Historiker Philippe Ariès hat in seinen Schriften die Beziehung des Westens zum Tod nachgezeichnet und beschrieb sie als einen Wandel von einer alltäglichen Erfahrung, die im häuslichen Umfeld stattfand und mit der Übergabe in Gottes Hände mündete, hin zu einer immer entfremdeteren Beziehung zum Tod, die schließlich tabuisiert wurde.10 Heutzutage sterben wir in Krankenhäusern, ohne notwendigerweise an ein Leben nach dem Tod zu glauben. Auch Symbole wie Totenköpfe spiegeln diese Entwicklung wider – ihre Verwendung auf Metal-Plattencovern oder Goth-Accessoires wird mit anderen kulturellen Interpretationen in Verbindung gebracht als noch in der Frühen Neuzeit. Obwohl sie mit dem Ableben assoziiert werden, drücken sie heutzutage vor allem die Zugehörigkeit zu einer Subkultur, ein Aufbegehren gegen MainstreamWerte oder sogar einen leichteren, spielerischen
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