Leseprobe

35 Horror? Im Kopfkino öffnet sich eine Tür und bald sitzt man in einem abgedunkelten Saal, wo sogleich die tiefsten Abgründe der Welt, die Urängste und alle Schrecken der Menschheit erscheinen werden. Aus Schauspielern und Schauspielerinnen werden Monster oder sie kämpfen zumindest gegen solche, springen auf uns zu und … nun, der Kinosperrsitz gibt Halt (Abb. 1). Einer gut gemachten filmischen Aufarbeitung der Horrorthematiken kann man sich seit den Tagen des expressionistischen und psychologisierenden Films, seit Nosferatu und Frankenstein, kaum noch entziehen. Dass manchem Drehbuch eines Actionthrillers eigentlich ein 200 Jahre alter Schauerroman der Romantik zugrunde liegt, ist zumindest in der Filmbranche bekannt. Und wie an den altertümlichen Namen postmoderner Superhelden abzulesen ist, greifen selbst Filme des frühen 21. Jahrhunderts Themen auf, die eigentlich aus der Antike oder gar der Sagenwelt stammen. Horror, ist das nicht oft nur ein Remake von Themen, kombiniert mit einer sozusagen vererbten Gefühlsreaktion? Denn ohne die einkalkulierte Reaktion des Publikums, ohne den bezweckten Affekt beim Zuschauenden, würde nichts von dem, was sich Filmschaffende erhoffen, funktionieren. Die Stimmung kann schnell ins Gegenteil kippen: Remakes bergen nicht nur in der Welt der Mode die Gefahr einer Abnutzung. Ein schlechter Horrorfilm löst Heiterkeit aus; dafür gibt es inzwischen Klassiker in der B-Movie-­ Sparte. Spaß und Schrecken liegen als mögliche Publikumsreaktion also nah beieinander. Das gilt auch außerhalb des Kinos. Wer wird den mexikanischen Tag der Toten (dia de los muertos) mit seinen Totenschädeln aus Zucker nicht sogleich unter Spaß einordnen – seine jährliche Wiederkehr hat ihm den Schrecken genommen. Ähnlich verhält es sich mit den Initiationsritualen historischer (Geheim-)Gesellschaften – 1 Friedrich Wilhelm Murnau Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens Filmstill, 1922

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