Leseprobe

38 Tod und Teufel Sichtete und verführte der Teufel bereits im Diesseits die schwachen Seelen und quälte sie, so war er doch nicht die alleinige Figur des Schreckens. Früh drängte sich auch die Vorstellung einer Figur des Todes in die Vorstellung vom allgemeinen Lebenskampf. Der Tod konnte schon bei der Geburt der Kinder die Hand ausstrecken, wie er auch zum ständigen Begleiter der Greise wurde. Und in einem ähnelten sich beide, denn der Tod konnte ebenso lachen, scherzen und trotz seines Knochengerüsts so ausgelassen tanzen wie ein Teufel. Agierten Tod und Teufel als lustige Gigolos des Makabren in der Bildwelt oft zusammen, so stand der Tod in der Vorstellung der spätmittelalterlichen Gesellschaft mehr dem natürlichen Versterben im Sinne von Vorsehung und Schicksal nahe als einem von Menschen verursachten Gewaltakt. Er war zudem kein Henker, kein Mörder. Das wird deutlich, wenn es um alttestamentarische Szenen geht. Das Tanzen galt den Christen und Christinnen zwar im orgiastischen Einzeltanz der biblischen Salome, der Tochter des Herodes, als ein sündiges Treiben, als Laster. Doch ein geradezu teuflischer Zweck ihres Tanzes war es, vom König den abzuschlagenden Kopf Johannes des Täufers als Belohnung zu fordern. Wenn trotzdem die Teufelshelfer in der Hölle neben den Höllenhunden und anderen Monstern nicht als gefallene Engel, sondern als Totengerippe erscheinen, verdeutlichen sie nur nebenbei, dass es sich bei den dargestellten Sündern und Sünderinnen bereits um Verstorbene handelte. Zu Lebzeiten des Menschen war die Aufgabe des Todes als Figur im Bild primär die Verdeutlichung der Kürze seiner Lebenszeit. Die Ermahnung von der Sterblichkeit des Menschen, der doch in seiner Verblendung und Hybris zum ewigen Ruhm strebe, geht auf das den römischen Triumphatoren von einem Begleiter zugerufene »Memento mori« zurück: »Bedenke, dass Du sterblich bist!«5 Diese Warnung durchlief mit der Zeit mehrere Wandlungen. Sie bezog sich weniger auf das zu erwartende Weltgericht und damit auf die Frage, wie es um das Weiterleben nach dem Tod bestellt sei. Die Darstellung des Todes lehnte sich vielmehr an die des Menschen an: Die Bilder vom Totentanz zeigen ihn als Untoten, als Gerippe, als menschliches Skelett, der aber noch das Tanzbein schwingt, aber zum Beispiel im Industriezeitalter ebenso als Weichensteller, der den Zusammenstoß zweier Züge herbeiführt.6 Auch seine Darstellung war wandelbar: Mal ein Skelett mit Sense oder Sanduhr, mal wie bei Goya als gefräßiger Chronos, mal wie ein zarter jugendlicher Genius, der eine Fackel hält, oder als weiblicher Tod mit der Warnung an die Königin auf der Zizenhausener Keramikgruppe: »Euer Freud ist aus!«. Und wen er beim Paartanz an die Hand nimmt oder umgreift, den kann er immer noch loslassen (Abb. 4). Die Familie Sohn in Zizenhausen (heute Stockach) schuf im 19. Jahrhundert nach der Zerstörung eines mittelalterlichen Totentanzzyklus an einer Basler Kirche kleine Figurengruppen aus Keramik, die das Thema in populärer Weise hätten in die Moderne tradieren können.7 Doch trotz der soziohistorischen Studien von Philippe Ariès8 ist der Tod auch in seiner bildlichen Ausgestaltung bis heute ein Randthema der Wissenschaft und – für die Mehrheit der Bevölkerung – ein Tabuthema geblieben. 4 Anton Sohn Figurenfolgen Zizenhausener Totentanz Figur Lady, Terrakotta, farbig gefasst, 1822, Höhe 13 cm, Museum für Sepulkralkultur, Kassel 5 Max Slevogt Totentanz/Maskenball Öl auf Leinwand, 1896, 102×123 cm, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt 6 Unbekannt Vanitas Mezzotinto/Schabkunst, 17. Jahrhundert, 17,6 × 15,4 cm, Kunstpalast; Sammlung der Kunstakademie Düsseldorf

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