Leseprobe

49 Sympathie mit dem Teufel Der Protagonist aus Jennifer Kents Film Der Babadook (2014) hat eine kuriose Rezeption erfahren (Abb. 2). Die groteske Kreatur mit Zylinder, die eine alleinerziehende Mutter und ihren Sohn terrorisiert, ist ganz offensichtlich eine Metapher für die Trauer der beiden. Auf Social Media jedoch wurde der Babadook aus unerklärlichen Gründen zu einer queeren Ikone, Gegenstand unzähliger Memes und Vorbild für Pride-Cosplays. Diese Form der queeren Aneignung hat eine lange Tradition: Mit Erscheinen der Universal-Klassiker Frankenstein (1931) und Frankensteins Braut (1935), bei denen der offen schwule James Whale Regie führte, entdeckte die alternative Szene das Monster als queeres Motiv erstmals für sich. In ihrem Essay Powers of Horror entwickelte die französische Theoretikerin Julia Kristeva 1980 die Theorie der Abjektion: ein Ansatz, zu erklären, warum Dinge, die »dazwischen […] ambivalent […] zusammengesetzt« erscheinen, häufig als abstoßend erlebt werden.4 Sie beschreibt, wie der Detritus – Exkremente und Erbrochenes, abgeschnittene Nägel und totes Haar – gleichzeitig als Teil des eigenen Körpers, aber auch als Fremdkörper wahrgenommen werden kann, weshalb wir ihn ablegen, um ein sauberes und ordentliches Selbst zu wahren. Diese Ablehnung beschränke sich nicht auf das Individuum, sondern sei auch innerhalb des sozialen Korpus zu beobachten, wenn eine Gesellschaft Personen als abnormal ablehnt und sie mit einer Rhetorik des Ekels belegt, um sich beispielsweise von Jüd:innen, Menschen mit Behinderung, Homosexuellen oder Geflüchteten abzugrenzen. In diesen Fällen wird eine fundamentale Beziehung zwischen Merkmalen des Horrors und dem Umgang mit Marginalisierten sichtbar. Horror funktioniert traditionell über die Strategie des »Othering« (von engl. »other«, »andersartig«), indem eine Art Monster geschaffen wird, das Eigenschaften verkörpert, die die Gemeinschaft bedrohen und anwidern, und das deshalb abgelehnt und zerstört werden muss. Frankensteins Monster, das in Whales Film von Dorfbewohner:innen mit Fackeln und Heugabeln verfolgt wird, gilt als ikonisches Beispiel für dieses Phänomen. In den 1960erJahren begann sich das Motiv des Horrors schließlich zu verändern, ausgelöst von einer positiven Umdeutung des Andersseins in Gegenkulturen, einem erstarkenden Kampf für soziale Gerechtigkeit sowie dem Aufkommen der Identitätspolitik. Gab es bereits zuvor einzelne Beispiele für freundliche Monster, wie die wortgewandte Kreatur in Mary Shellys Frankenstein (1818/1831), so wurde Monstern nun immer häufiger mit Sympathie oder gar mit Empathie begegnet, während das Außenseiter:innentum aufgewertet und Monster zum Symbol des Widerstands gegen bürgerliche Heterogenität wurden. Dieses Neudefinition im späten 20. Jahrhundert brachte auch eine moralische Neubewertung der Struktur von Horrorerzählungen mit sich. Gut und Böse waren nicht länger lediglich Schwarz oder Weiß; Monster und Dämonen konnten eine Vielzahl an komplexen und widersprüchlichen Motiven verkörpern. Shelleys Frankenstein spielt auf die Kreatur in John Miltons epischem Gedicht Paradise Lost (1667/1674) an, die sich selbst als »fallen angel«5 (»abtrünniger Engel«) bezeichnet. Luzifer war einst der strahlendste aller Engel, wurde jedoch aus dem Himmel vertrieben, weil er es wagte, sich gegen Gott aufzulehnen. Berüchtigterweise ist Luzifer für viele Leser:innen der spannendste Charakter des Gedichts; der romantische Dichter William Blake bemerkte über Milton, dieser stünde »auf der Seite des Teufels, ohne es zu wissen.«6 Die Ikonografie des Teufels als Rebell prägte auch das sich wandelnde Verständnis von Horror in den 1960er-Jahren. Der Song Sympathy for the Devil der Rolling Stones von 1968 verkörpert diesen Wandel, indem er die Position des Teufels legitimiert und den Hörenden eine Mitschuld an den besungenen Gräueltaten gibt: »Ich schrie: ›Wer tötete die Kennedys?‹ / Wenn es am Ende doch du oder ich waren«.7 Eine Coverversion des Songs von der Band Guns N’Roses wurde 1994 zum Soundtrack für Neil Jordans Filmadaption von Anne Rices Bestseller Interview mit einem Vampir (1976). In der Romanvorlage wie auch im Film erzählt ein Vampir einem jungen Journalisten seine Lebensgeschichte als Untoter und überredet ihn dadurch unbewusst dazu, selbst ein Vampirleben zu führen. Die Insze-

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1