142 Im Alter von 14 Jahren begannst Du, als Kostümbildner zu arbeiten. Anschließend hast Du ein Bühnenbild-Studio mitbegründet. Inwiefern hat das Theater Deine Modekreationen geprägt? Das Theater ist ein zentraler Aspekt meiner Arbeit. Es dreht sich alles um das Geschichtenerzählen. Für mich ist Mode keine Industrie, sondern eine lebendige kulturelle Kraft – ein Forum, um die Zukunft zu erfinden. Neben dem eigentlichen Entwerfen und Kreieren einer Kollektion müssen bei einer Show alle möglichen Aspekte berücksichtigt werden: Veranstaltungsort, Bühnenbild, Musik, Beleuchtung, Haare, Make-up, Besetzung. Wie beim Theater muss alles, was das Publikum sieht, hört, berührt oder riecht, zur gewünschten Story beitragen. Was erhoffst Du Dir von Deinem Publikum, wenn es Deine Arbeit sieht oder Deine Modenschauen erlebt? Mein Anspruch ist in der Regel eine verzweifelte, knallharte Dringlichkeit. Manche Modenschauen sind ein reines kommerzielles Schaulaufen, aber das hat für mich keine Relevanz. Ich verstehe eine gute Modenschau als Gelegenheit, das Publikum an die Macht und den Zweck des Bildermachens zu erinnern. Wir versuchen immer, eine Show zu kreieren, die sich ins Gedächtnis einbrennt und einen noch lange nach Show-Ende beschäftigt. Fantasie und Träume spielen eine zentrale Rolle in Deiner Arbeit. Übt das, was jenseits alltäglicher Zwänge, der Vernunft oder bestimmter Denkweisen liegt, einen besonderen Reiz auf Dich aus? Wenn man wie ich der Meinung ist, dass Mode mehr ist als glitzerndes Beiwerk, dann sollte sie unsere kollektiven Ängste und Fantasien widerspiegeln. Vor allem, wenn die Welt am Rande des Chaos steht. Wir leben in einer ambivalenten, beunruhigenden Zeit, und das sollte sich in der jeweiligen Arbeit zeigen. Nina Simone drückte es so aus: »Es ist die Pflicht einer Künstlerin, die Zeit zu reflektieren.« Für Deine 2007 erschienene Kollektion hast Du Dich von einer Szene im Ridley-Scott-Film Legend inspirieren lassen, in der die Hauptfigur, Prinzessin Lili, zur dunklen Version ihrer selbst wird. Was hat Dich an diesem Film so fasziniert? Ich liebe diese Szene, weil wir Zeug:innen einer radikalen Ablehnung des Status quo werden. Sie vermittelt ein gewisses Gefühl der Verlassenheit und repräsentiert einen Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt. Es ist der Moment, in dem sie ihrem »Schattenselbst« gegenübertritt. Ist die dunkle Seite der menschlichen Natur generell eine Inspiration für Deine Arbeit? Auf jeden Fall. Einer meiner Lieblingskünstler ist Francis Bacon. 2018 habe ich eine Kollektion in Form eines Kostümbilds für einen Film vorgestellt, der zum Teil eine Hommage an Bacon ist. Der Film beginnt mit einer Einstellung von zwei Männern in Anzügen, die ihre Gesichter und Körper gegenseitig verunstalten – eine Szene, die an Bacons düstere Werke erinnert, die oft von einer fast unerträglichen Beklemmung und Hässlichkeit geprägt sind. Mit diesem Film wollten wir die Beziehung von Schönheit und Barbarei genauer unter die Lupe nehmen. Zudem interessierten wir uns für das Konzept der »duende« – den Geist der Evokation –, das 1933 von Federico García Lorca geprägt wurde. Dieser Begriff ist eng verbunden mit den Ursprüngen des Flamenco. Er wird oft verwendet, um den primitiven kreativen Instinkt zu bezeichnen, den Lorca als Tanz mit dem Teufel beschreibt; ein Lebensgefühl von Irrationalität und Erdverbundenheit, das durch ein erhöhtes Bewusstsein für den Tod gekennzeichnet ist und das für »das Allerliebste, was das Leben bieten kann« steht. Das Streben nach diesem Gefühl ist ein großer Antrieb für mich, aber natürlich setzt das voraus, dass man die dunkle Seite der menschlichen Natur anerkennt. ↑ Gareth Pugh Herbstkollektion Look 44, 2013 Frühlingskollektion Look 9, 2007 Westrey Page: Mode
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