14 Auch andere Figuren und Ästhetiken, die sich unter dem Oberbegriff »Horror« zusammenfassen lassen, haben in der jüngsten Populärkultur eine Renaissance und Neubewertung erfahren: 2010 brachte die Barbie-Marke Mattel Monster-High-Modepuppen heraus, die in Nordamerika zu Bestsellern avancierten. Als »Frankie Stein« und »Draculaura« wurden sie gezielt an Kinder vermarktet und mit dem Slogan »Sei Du selbst, sei einzigartig, sei ein Monster« beworben – ein Plädoyer für Individualität durch Anderssein (Abb. 2). Dieser Ansatz wurde wahrscheinlich von Lady Gaga inspiriert, die dafür bekannt ist, ihre Fans liebevoll »Little Monsters« zu nennen und sich in selbstbewussten, monströsen Outfits zu kleiden. Zur gleichen Zeit brachen die elf Staffeln der Zombie-Hitserie The Walking Dead Fernsehrekorde, und sechs von zehn der in den ersten 24 Stunden meistgestreamten NetflixSerien bedienten sich Horrorthemen.2 Rihanna verlieh ihrer Marke in Kooperation mit dem legendären Metal-Logo-Designer Christophe Szpajdel ein neues Branding (Abb. 3), während die Extreme-Metal-Band Cradle of Filth eine Zusammenarbeit mit dem Popmusiker Ed Sheeran ankündigte. Auch Social-Media-Communitys wie die »Witches of Instagram« gewannen immer mehr Anhänger:innen. Wie lässt sich das Aufblühen dieser Bilder, Themen und Figuren erklären? Einige Theorien besagen, dass der Horror ein Spiegel gesellschaftlicher Ängste ist.3 Zwar mag dieser Ansatz für einige Bereiche der Kunst, Musik, Mode und des Films zutreffen, jedoch erklärt er das Phänomen längst nicht in seiner Gänze. Denn ein Großteil der visuellen Kultur eignet sich die Motive aus völlig anderen Gründen an. So entstand nach der Jahrtausendwende eine größere Diversität an Charakteren und Symbolen als in den späten 1990er-Jahren, obwohl diese durch das nahende Millennium von Weltuntergangsängsten geprägt waren, oder während der Anfänge der Goth- und Metal-Szene in den 1970er- und 1980er-Jahren, die bis heute die Ästhetik des Horrors beeinflussen. Die Möglichkeit zur grenzenlosen Vernetzung von Gemeinschaften durch das Internet hat die Entstehung globaler Dialoge innerhalb und zwischen Subkulturen ermöglicht. Dadurch sind die Genres, die sich aus dem künstlerischen Vokabular des Horrors speisen, viel2 Mattel Frankie Stein™ (Monster-High-Serie) Mixed Media, 2022, 40×30×10 cm (im Karton), Kunstpalast, Düsseldorf 3 Christophe Szpajdel Rihanna-Logo Bleistift und Tinte auf Papier, 2016, Christophe Szpajdel fältiger geworden. Die globalen »Peripherien«, die die westliche Vorstellungskraft einst erschreckten (und dies zum Teil immer noch tun), sind nun in der Lage, auf das sogenannte Zentrum zu reagieren, daran teilzuhaben und dieses zu beeinflussen.4 Soziale Bewegungen, die sich für Antirassismus sowie für Geschlechter- und Klimagerechtigkeit einsetzen, haben die Populärkultur und das kulturelle Schaffen – einschließlich des Horrors – durchdrungen und inspiriert. Diese Fäden haben ihre Vorläufer in der jahrhundertelangen Kunst- und Kulturgeschichte, auch wenn sie nur selten in Kunstpublikationen und lediglich in Ausnahmefällen in Museumsausstellungen artikuliert werden.
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