16 verstorbenen Pfarreimitglieder zur letzten Ruhe gebettet. Auf dem Dorf war die Pfarrei als kirchlicher Dienstleister praktisch unentrinnbar. In den Städten, zumindest in den größeren, konnten sich vielerorts seit dem 13. Jahrhundert Bettelordenskonvente etablieren, in sächsischen Städten vor allem die Franziskaner und die Dominikaner, vereinzelt auch die Augustinereremiten. Die Angehörigen der Bettelorden waren theologisch gut ausgebildet, asketisch profiliert, als Prediger erfahren, und die Mendikanten stellten mit ihren paraparochialen Strukturen eine Herausforderung für die Pfarrseelsorge dar, wodurch mancherorts Streitigkeiten und Konflikte entstanden,31 doch wurden diese Konfliktzonen im Laufe des Spätmittelalters bereinigt. Im Zentrum steht also die Pfarrei, eine Institution, die eigentlich inklusiv war, denn jeder Christ – und wer war dies nicht in den Jahrhunderten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit? – war durch das Wohnortprinzip an eine bestimmte Pfarrei gebunden. Man nennt dieses Organisationsprinzip bis heute »Pfarrzwang«. Jedem Christen war klar, zu welcher Pfarrei er gehörte. Dort hatte er seine Ehe einsegnen zu lassen, dort wurden seine Kinder getauft, dort empfing er die Kommunion in den sonn- und feiertäglichen Gottesdiensten, und wenn es auf das Ende zuging, empfing er vom Pfarrer die Letzte Ölung sowie das Viaticum (Abb. 2) und wusste, wo er seine letzte Ruhestätte finden würde, nämlich auf dem Friedhof, der in der Stadt wie auf dem Land die Pfarrkirche umgab. Die Pfarrkirchen waren Orte der Verkündigung und Seelsorge, sie waren Orte des Gebets und des Gedenkens, sie waren aber auch durch Ausstattung und Stiftungen ein Spiegel der Gesellschaft und Schnittstellen des kirchlichen und weltlichen Lebens. Die Kirchenorganisation war keine Struktur, die den Menschen von der Bistumsleitung oder anderen Autoritäten übergestülpt wurde; sie wuchs von unten her, weil es ein Grundbedürfnis der Gläubigen war, eine Kirche vor Ort zu haben und damit einen Priester, der ihnen die Sakramente spenden konnte. So wuchs die Pfarrorganisation im Laufe des Mittelalters. Im Bistum Meißen, zu dem im Mittelalter auch Chemnitz gehörte, gab es um 1100 etwa 40 Pfarrkirchen, aber weite Teile des Bistums waren zu dieser Zeit noch gar nicht besiedelt. 400 Jahre später, um 1500, bestanden über 900 Pfarrkirchen, und damit waren selbst die entlegensten Winkel des Erzgebirges oder der Oberlausitz kirchlich erschlossen.32 Schon bis 1300 war die Entwicklung weitgehend abgeschlossen, doch gab es mancherorts auch noch im 14. und 15. Jahrhundert Initiativen, neue Kirchen zu gründen. In der Regel wurden die Ortsherren aktiv, wodurch sich erklärt, warum es in Sachsen so viele Dorfkirchen gab, die einem adligen Patronatsherrn unterstanden, aber diese Kirchengründungen wurden auch von den Dorfgemeinden, also von den Menschen vor Ort, mitfinanziert. Bei einer Pfarreigründung war es ja nicht damit getan, dass man einen Baugrund hatte und dort eine Kirche errichtete, sondern die Kirche musste auch mit Altären, Altargerät (Vasa sacra), liturgischen Gewändern und Büchern für die Gottesdienstfeier ausgestattet werden. Und nicht zuletzt musste der Pfarrgeistliche finanziert werden, indem eine Pfründe ausgestattet wurde. Auf dem Land umfasste eine solche Pfarrpfründe zumeist Äcker und Wiesen, die der Pfarrer bewirtschaften lassen konnte, während in der Stadt Geldzinse und andere Einkünfte für die Finanzierung des Pfarrers eine größere Rolle spielten.33 / 2 / Lukas Cranach d. Ä., Der Sterbende, 1518, Museum der bildenden Künste in Leipzig
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