Leseprobe

107 / 13 / Brust und Schulter der Jacke der Nikodemus-Figur, Darstellung von Pelzbesatz durch Wuckelungen, dazwischen ehemals monochrom gelüsterter Pressbrokat, Seidendarstellung am Ärmel durch Versilberung mit Goldlack und rot-schwarzen Florierungen / 14 / Gewandsaum des Johannes, Glanzversilberung mit ehemals farblosem Überzug und vergoldeten Papierpunkten als Saumzier Ursprüngliche Fassung Zusammenfassend kann man sagen, dass am Heiligen Grab die ursprüngliche Fassung in großen Teilen erhalten geblieben ist oder zumindest ohne aufwendige Laboruntersuchungen auf den ursprünglichen Zustand geschlossen werden kann. Es handelt sich um eine sehr farbenfrohe Fassung, die, wie in der Spätgotik häufig anzutreffen, von Metallauflagen dominiert wurde. Mit den Metallauflagen korrespondierten matte Farbflächen vorwiegend in Rot und Blau. Im Detail finden sich zahlreiche Varianten ornamentaler Gestaltungen und Farbgebungen der Metallflächen. Die Darstellungen der Personen und ihrer Bekleidung zielen auf höchstmöglichen Realismus ab (Abb. 10, 12). Die Metallauflagen sind mit wenigen Ausnahmen zumeist Blattgold- beziehungsweise Blattsilberauflagen auf dunkelrotem Poliment oder auf mit Ocker unterlegtem Anlegeöl. Während wir bei den Vergoldungen nur drei Varianten, nämlich unpolierte Polimentvergoldungen, die einer früheren Restaurierung entstammen,11 ursprüngliche Ölvergoldungen und im Übrigen überwiegend polierte Polimentvergoldungen vorfinden, gibt es bei den Versilberungen mehr Varianten. So zum Beispiel grüne und rote Lüsterungen sowie zwar heute leicht vergilbte, aber ursprünglich farblose Überzüge. Weiterhin gibt es ornamentale Pinselzeichnungen mit rotem Lüster auf Silbergrund (Abb. 13, 14). Das gesamte Dach des Heiligen Grabes trug ursprünglich eine polierte Blattversilberung direkt auf der gelöschten Grundierung, also ohne Poliment (Abb. 11). Auf diesem Untergrund befinden sich auch die am besten erhaltenen Pressbrokatapplikationen am gesamten Heiligen Grab. Die Besonderheit bei diesen Granatapfelaufklebern ist, dass hier der mehrfarbig gelüsterte Pressbrokat auf mennigefarben grundiertem Papier aufgeklebt und mit einer Azuritumrandung versehen wurde. Alle Pressbrokatapplikationen am Heiligen Grab sind mit einer mennigefarbenen Pressmasse und einer etwas dickeren Metallfolie, offenbar aus Zinn, ausgeführt worden. Leider sind die Pressbrokate an den Figuren so stark beschädigt, dass sich die Modelgravur für Vergleiche kaum mehr rekonstruieren lässt. Weitere Applikationen finden sich in Form von aufgeklebten vergoldeten Scherenschnittsternen aus Papier und Goldpapierpunkten. Besonders eindrucksvoll muss dabei die Gestaltung der Dachunterseite als tiefblauer Sternenhimmel gewirkt haben (Abb. 15, 16). Eine weitere Besonderheit der Farbfassung stellen speziell die vielen und auch großen Azuritflächen dar. Sie zeigen einen Aufbau, der von der oft als klassisch bezeichneten schwarzen beziehungsweise dunkelgrauen Unterlage abweicht. Die locker gebundene dunkelblaue, grobkörnige Deckschicht wurde hier mit einer sehr deckend aufgetragenen hellblauen, feinkörnigen und stark gebundenen Farbschicht unterlegt. Vielleicht handelt es sich hierbei um die andere klassische Art der Azuritfassung, da sie mir schon andernorts begegnet ist.12 lm Übrigen weist die Farbfassung die in der Spätgotik üblichen und häufig anzutreffenden Techniken auf. Immer wieder beeindruckend ist der hohe Realismus der Darstellung. Die lnkarnatfassungen sind in Lasurtechnik mit fetteren Temperafarben gemalt. Die Haare und Bärte wurden durch mehrschichtigen Farbauftrag in sehr naturnahen Farbgebungen gestaltet. Ausnahmen sind die

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