Leseprobe

119 Um 1500 Stiftung (?) und Anfertigung des Heiligen Grabes im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts. Zu den damit verbundenen Vorgängen konnten bislang keine Quellenbelege nachgewiesen werden. Der wahrscheinlich vor Ort ansässigen Werkstatt konnten drei Retabelfiguren aus Reichenhain zugeordnet werden.6 Anschaffung und Aufstellung des Heiligen Grabes stehen im Kontext einer umfassenden und qualitativ hochwertigen Neuausstattung der knapp 90 Jahre zuvor vollendeten Jakobikirche. Im Zuge einer zweiten Ausstattungsphase wurden zwischen 1501 und 1503 nicht nur ein neues Hochaltarretabel, sondern auch ein neues Orgelwerk (die später sogenannte Große Orgel im nördlichen Chorseitenschiff) beschafft. Über den ursprünglichen Standort des Heiligen Grabes innerhalb der Jakobikirche kann nur spekuliert werden. Die Chronistik des 19. Jahrhunderts nennt allgemein und ohne nähere Spezifizierung den »Chor« oder den »Altarplatz« und lässt damit Raum für vielfältige Interpretationen. Wahrscheinlich hatte das Grab in einem der Seitenschiffe des Hallenchors – eventuell auf der Südseite – seinen Platz. Sofern die Möglichkeit einer (eingeschränkten) Mobilität gegeben war, was bislang nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte, muss mit einer temporären Versetzung in den Binnenchor jeweils zur Zeit des »Triduum Sacrum« gerechnet werden. 1530 Martin Luther kritisiert bestimmte Erscheinungen der bisherigen Frömmigkeitspraxis.7 Aus der stichwortartigen Aufzählung sprechen gleichzeitig der ganze Reichtum und die Vielgestaltigkeit des gottesdienstlichen Lebens vor der Einführung der Reformation. Für die Karwoche werden u. a. genannt: Hungertuch, Bilder verhüllen, Palmesel, Kreuz küssen und anbeten, Kreuz begraben, Psalter singen am Grab, Ersatz des Geläutes durch »Klappern«. Die Feier des Osterfestes war u. a. mit der Weihe des Osterfeuers, der Osterkerze sowie dem »Creutz aus dem grabe heben und spielen tragen« verbunden. Mit seinen Äußerungen stellt der Reformator die Berechtigung der Osterspiele und damit auch die weitere Existenz der dafür notwendigen Requisiten – auch der Heiligen Gräber – generell infrage. Ähnliches lässt sich u.a. auch in Bezug auf die (gestifteten) Privatmessen und die Verwahrung des Allerheiligsten konstatieren, was Konsequenzen für den Fortbestand der Seitenaltäre und der Sakramentsnischen beziehungsweise -häuser hatte. 1531–1538 Die von Luther monierten Dinge sind selbstverständlich auch in Chemnitz »inn vbung vnd brauch« gewesen. Das belegen verschiedene Eintragungen im städtischen Ausgabebuch. Diese wenigen Notizen sind gleichzeitig der einzige direkte Hinweis auf die liturgische Nutzung des Grabes in der Karwoche, nachdem bislang für Chemnitz kein »Osterspiel« – wie beispielsweise in Zwickau – nachweisbar ist. Der Rat verbucht Ausgaben für den »Schreiber« – einen älteren Schüler der Lateinschule – für das Lesen des Psalters »am Grab«:8 1534: X gr den schreybern vorm grab am karfreitag 1535: X gr den schreybern vom psalter vorm grabe zelesen In der Marter woche 1539 Während des »Triduum Sacrum« (4. bis 6. April) dieses Jahres könnte das Heilige Grab letztmalig »bespielt« worden sein, sofern die Liturgie in der bisherigen Weise stattfand. Auffällig ist, dass ausgerechnet 1539 keine Zahlung an den »Schreiber« erfolgte, wie es noch im vorhergehenden Jahr geschah.9 Als letzter katholischer Geistlicher an St. Jakobi dürfte Johannes Leyp Hauptzelebrant gewesen sein. Einführung der Reformation im albertinischen Teil Sachsens unter Heinrich dem Frommen als Nachfolger des verstorbenen Herzogs Georg des Bärtigen. Am 4. Juli findet die erste evangelische Predigt in St. Jakobi durch den neu eingesetzten Superintendent Wolfgang Fues statt. Am 29. Juli Visitation in Chemnitz, u. a. durch Justus Jonas und Georg Spalatin. Einführung des lutherischen Gottesdienstes. Mit der verordneten Einstellung der Privatmessen verlieren die Nebenaltäre ihre Funktion. Das Franziskanerkloster wird 1540 endgültig aufgehoben, der Besitz an vasa sacra vom Rat eingezogen. Später (wann?) gelangen Buchbestände aus der ehemaligen Klosterbibliothek sowie Teile des reichen Kunstbesitzes aus der Kloster- in die Stadtkirche. Darunter befinden sich zwei Flügel des ehemaligen Hochaltars mit den Aposteln Petrus und Bartholomäus beziehungsweise den Heiligen Franziskus und Ulrich.10 1541 Das Benediktinerkloster St. Marien wird aufgelöst. Es kommt zum Verkauf liturgischer Gewänder aus St. Jakobi.11 Über die Entfernung weiterer Ausstattungsstücke liegen keine Informationen vor, sodass auch hier, wie an vielen anderen Orten, entweder von einer Weiter- oder – im Fall der Nebenaltäre oder des Sakramentshauses – von der Nicht-Mehr-Nutzung ausgegangen werden kann. Davon war mit hoher Wahrscheinlichkeit auch das Heilige Grab betroffen. 1547 Belagerung während des Schmalkaldischen Krieges. Die Vorstädte einschließlich der Kirchen St. Johannis, St. Georgen und St. Nikolai werden zerstört. Die Jakobikirche bleibt offenbar von größeren baulichen Schäden verschont, wird allerdings als Pferdestall zweckentfremdet. Um 1555 Mit dem Einbau von hölzernen Emporen in den Seitenschiffen des Langhauses setzen umfangreiche und längerfristige Maßnahmen zur Umgestaltung des Kirchenraums ein.

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