121 1663 Einrichtung des »Ratschors« auf dem bisherigen »Schulchor«, der sich an der Südwand des Vorchorjochs befand. Als Ersatz wird »den Schulcollegen aber und den Schulknaben [...] das damals sogenannte deutsche Chor, neben der großen Orgel eingeräumet«.18 1667 Umfassende Erneuerung, initiiert und finanziert durch Bürgermeister Balthasar Schütz: Das Innere wurde »geweißet, die Pfeiler aber lichte aschgrau, und die Kirchthüren schwarz angestrichen; auch sind damals die alten Fahnen der kayserlichen Officirer, welche zu Kriegszeiten in diese Kirche begraben worden waren, weggenommen worden«.19 Ein Altarbild in der Sakristei – möglicherweise jenes des ehemaligen Kalandaltars? – wird »verhängt«.20 Für die Objektgeschichte des Heiligen Grabes sind die baulichen Vorgänge in der Kirche insofern von Interesse, als es dabei (erneut?) zu einem Standortwechsel kam, der aber – im Unterschied zu einer lediglich auf Mutmaßungen beruhenden früheren Versetzung (→ 1629) – diesmal auch anhand schriftlicher Quellen belegt werden kann. Die Kirchrechnungen verbuchen folgende Ausgabe: »Martin härtel den Zimmerman vf 1 ½ tag Lohn mit einen gesellen, das H. Grab vf den Chore fort zu sezen Vnd arbeit den 14 Marti«.21 Welcher »Chor«, das heißt, welche Empore damit gemeint ist, geht aus der kurzen Notiz nicht hervor. Infrage kommen dabei entweder die 1663 den Schülern überlassene Empore im nördlichen Seitenschiff des Hallenchors, eine der seit den 1550er Jahren sukzessive in den Kirchenraum eingebauten Emporen oder aber die Westempore, deren damalige Nutzung jedoch ziemlich im Dunkeln liegt. Als Standort für Orgel und Sänger kommt sie bis zur Umstrukturierung der Kirchenmusik 1678 nicht infrage. Allerdings bot der sich über die drei westlichen Langhausjoche erstreckende Einbau zweifellos günstigere Platzverhältnisse zur Aufstellung des voluminösen Kunstwerks als eine wie auch immer beschaffene und in voller Funktion befindliche Sängerempore im Hallenchor. Dem fortgesetzten Zugriff der Schüler und den damit verbundenen Substanzschädigungen könnte das Grab ebenso gut auch auf der Westempore ausgesetzt gewesen sein: Im nordwestlichen Joch war – möglicherweise schon seit 1646 – die Bibliothek des Lyzeums untergebracht, was eine entsprechende Besucherfrequenz erwarten lässt.22 Generell werden die »Bohrkirchen« (Emporen) wiederholt im Zusammenhang mit Klagen über Disziplinlosigkeit »und dergleichen Verbrechen« während des Gottesdienstes erwähnt, sodass sich der Rat zum Einschreiten gezwungen sah.23 Ob damit Beschädigungen des Heiligen Grabes verbunden waren, die über das mehr oder weniger tolerierte Anbringen von Kritzeleien hinaus gingen (→ 1608, 1616), ist zwar spekulativ, aber durchaus nicht ausgeschlossen. 1668 »Christian Hegewalden dem Bildhauer« werden 1 Florin und 7 Groschen für Malerarbeiten am Heiligen Grab ausgezahlt.24 Der in der Rechnung genannte Christian Hegewald ist nicht näher fassbar. Die Forschung konzentrierte sich bislang auf die prominenten Vertreter der Hegewald- Familie, Michael (vor 1592 bis um 1640) und vor allem den späteren kurfürstlichen Hofbildhauer Zacharias (1596–1639).25 Der aus Freiberg zugewanderte Michael Hegewald wohnte im Sprengel der Jakobikirche, wo er ab 1597 als Besitzer mehrerer Grundstücke in der Webergasse erscheint, 1620 dagegen »beim rothen Thurme«.26 Im Chemnitzer Raum tritt er u. a. durch die qualitätvolle bildkünstlerische Ausstattung der Pfarr- und Patronatskirche Niederrabenstein mit Altaraufsatz, Taufe und verschiedenen Epitaphien in Erscheinung. In St. Jakobi wurden seine beiden Ehen geschlossen: 1592 mit Dorothea, 1611 mit Maria.27 Aus der ersten Verbindung ging der bereits genannte Zacharias, aus der zweiten der Sohn Christian hervor, der im Juli 1627 an dem durch seinen Vater geschaffenen Taufstein die Heilige Taufe empfing.28 Im Januar 1657 schloss er die Ehe mit Christina Ernst, Tochter eines Chemnitzer Tischlermeisters.29 1664 erwarb er das Chemnitzer Bürgerrecht.30 In welchen verwandtschaftlichen Beziehungen die ebenfalls in den Bürgerbüchern als Bildhauer verzeichneten David (1625) und Hans Michael (1683) zu Christian Hegewald standen, ist noch ungeklärt. Neben der Arbeit am Heiligen Grab und der 1671 erfolgten »Renovierung« des Triumphkreuzes in St. Jakobi lassen sich bislang keine weiteren Arbeiten für ihn nachweisen. Für die weitere Erforschung der Chemnitzer Barockskulptur ergeben sich damit jedoch eine Reihe neuer Möglichkeiten. Welcher Art die Arbeiten waren, die Hegewald am Heiligen Grab durchführte, geht aus dem Rechnungseintrag nur ganz allgemein hervor. Mit Sicherheit umfassten sie die Anbringung der in der frühneuzeitlichen Stadtchronistik wiederholt erwähnten und ausgiebig zitierten Tafel mit einem als Chronogramm zu lesenden Distichon: »En tibi, spectator, JEsu sculptura sepulchri / Quod papae coluit relligiosa cohors. / Non colimus, toleramus; digna huc sede locamus, / Quod docet indoctos dogmata sancta greges. / MartInI per nos resonat DoCtrIna LVtherI; / InfernI sane porta ferIre neqVIt.«31 (»Siehe, Betrachter, die Skulptur des Grabes Jesu, welche die religiöse Gefolgschaft des Papstes verehrte. Wir verehren es nicht: Wir tolerieren es und geben diesen würdigen Platz einem Werk, das die unbelehrten Herden die heiligen Dogmen lehrte. Aus uns jedoch spricht die Lehre Martin Luthers, welche die Pforten der Hölle nicht überwinden kann.«) Hinter dem unbekannten Verfasser verbirgt sich möglicherweise der seit 1671 in Chemnitz tätige Superintendent Friedrich Holzmann. Offenbar hegte man in dieser Zeit eine besondere Vorliebe für derartig verschlüsselte Sinnsprüche, wie die fantasievollen Distichen am Ende eines jeden Jahrgangs der Taufregister von St. Jakobi noch bis ins 18. Jahrhundert belegen. Ob es im Zusammenhang mit der Versetzung auch zu Ergänzungen und Veränderungen am konstruktiven beziehungsweise architektonischen Bestand des Heiligen Grabes gekommen ist, wie eine Federzeichnung aus dem frühen 19. Jahrhundert (→ 1825) vermuten lässt, muss offen bleiben. In der bewussten Entscheidung, dem Schrein nicht nur einen neuen Standort zuzuweisen, sondern ihm darüber hinaus auch noch eine restauratorische Behandlung angedeihen zu lassen, äußern sich ähnliche denkmalpflegerische und konservatorische Bemühungen, wie sie etwa gleichzeitig in der ehemaligen Benediktinerklosterkirche vor sich gingen: 1666 erstellte dort der Schneeberger Bildhauer Johann Heinrich Böhme (1639–1680) ein Gutachten samt
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1