Leseprobe

212 bescheiden, ohne Schnitzereien im oberen Teil, wie sie bei dieser Art von Objekten erst nach der Mitte des 14. Jahrhunderts vorkamen. Die Analyse der Form des Baldachins führte den Forscher über den Kreis der Grabskulptur hinaus – zu Ostergräbern. Nach seiner Ansicht sollten freistehende Baldachine französischen Ursprungs in Betracht gezogen werden, »von denen es in der Heimat der Meister der Krakauer Tumba viele gab«, zum Beispiel in Köln. Bei den Säulen wies er auf Merkmale der reduktiven Gotik hin. Er beschrieb die Profile als Negativprofile, die in der mitteleuropäischen Architektur am häufigsten anzutreffen waren (Zlata Koruna).15 Walczak rekonstruierte das mögliche Aussehen des Baldachins recht überzeugend. Seiner Meinung nach hatte es birnenförmige Profile, und das Ganze hatte einen trockenen und linearen Charakter. Die Säulen des Baldachins standen nicht in Kontakt mit der Tumba, sondern in geringem Abstand zu ihr. Diese Lösung wurde bei den späteren Wawel-Tumben nicht wiederholt.16 Es ist leider unklar, wie der obere Teil des Baldachins, sein Endstück und der Abschluss aussahen. Walczak zufolge war die Architektur des Baldachins nicht verziert. Wenn er jedoch ähnlich aufgebaut war wie die Werke im Oberelsass oder im Breisgau, könnte er eine aufwendige architektonische Verzierung in Form von Fialen und Kreuzblumen gehabt haben, und es ist möglich, dass er auch mit Christus- und Engelsfiguren dekoriert war. Eine Vorstellung davon, wie der Baldachin über dem Grab von Władysław Łokietek ausgesehen haben könnte, vermittelt das Ostergrab im Münster von Freiburg im Breisgau (Abb. 4 a, 4 b). Es wurde zu einer ähnlichen Zeit wie die Wawel-Tumba geschaffen (30er/40er Jahre des 14. Jahrhunderts).17 Sein Hauptelement ist eine an der Wand befestigte Tumba (109 cm hoch und 86 cm breit),18 deren Vorderwand aus Tafeln besteht, die mit Figuren schlafender Soldaten gefüllt sind. Der Tumbadeckel auf der Vorderseite ist mit einer Zierleiste mit Weintrauben und Weinblättern verziert. An den Ecken befinden sich zwei Löwenköpfe. Auf der Platte ruht der tote Körper Christi, 218 cm groß, in ein Leichentuch gehüllt und mit einem Nimbus unter dem Kopf. Hinter ihm, in der Tiefe, befinden sich vollplastische Statuen der drei Marien, flankiert von zwei Engelsfiguren. Über der Tumba erhebt sich ein Baldachin, der auf fünf Pfeilern (die äußersten sind breiter als die anderen und schließen an die / 5 / Nordwand des Grabmals von Władysław Łokietek mit einer Darstellung von Frauen, die um den König trauern / 6 a, b / Ostergrab im Münster in Freiburg im Breisgau, Darstellungen der drei Marien und Engel

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1