Leseprobe

145 Abb. 2 Stangengläser im Schlossmuseum Sondershausen (v. l.: Kg 470, 416, 406, 403, 408, 411, 412, 410, 414, 469), Kat. 82 Gästen bei einem festlichen Diner zeigen: Neben der reich gedeckten Tafel im Kaisersaal der Schwarzburg ist die Verwendung der Stangengläser auffällig, aus denen die versammelte Festgesellschaft umständlich trinkt (Abb. 3, 4).2 Die fotografische Passion der letzten Fürstin ist weithin bekannt und wurde in verschiedenen Publikationen gewürdigt.3 Es gibt indessen mehrere Aufnahmen der Stangengläser als Teil einer festlich gedeckten Tafel anlässlich von Geburtstagen des Fürsten. Neben der bereits erwähnten Feier 1909 hat sich auch eine Fotografie vom 60. Geburtstag Günther Viktors erhalten, bei dem sich die Gesellschaft wieder im Kaisersaal der Schwarzburg versammelt hat (Abb. 5). Es handelt sich eindeutig um zwei unterschiedliche Feiern, da 1912 der Schwarzburger Jagdtafelschmuck, den Anna Luise als Geschenk zum 60. Geburtstag ihres Mannes in Auftrag gegeben hatte, fertig gestellt war und nun erstmals die Tafel schmückte.4 Dass die besonderen, hohen Stangengläser, dokumentiert durch Fotografien Anna Luises, mehrfach zu hohen Festtagen des fürstlichen Hauses zum Einsatz kamen, deutet auf eine Tradition hin. Die Gläser müssen also von der Schwarzburg, wo sie demnach noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts Verwendung fanden, nach Sondershausen transportiert worden sein. Der dafür letztmögliche Zeitpunkt war der von den Nationalsozialisten erzwungene Auszug Anna Luises aus der Schwarzburg, ihrem Witwensitz und bevorzugtem Aufenthaltsort, im Juni 1940. Als die einstige Fürstin am 6. Juni auf der Schwarzburg eintraf, durfte sie ihre privaten Räume nicht mehr betreten, das Ausräumen hatte bereits begonnen. Anna Luise wurden Möbelwagen für ihren Auszug zur Verfügung gestellt.5 Dass sie ausgerechnet die langen Stangengläser mitnahm, die zerbrechlich und sicher weder einfach noch platzsparend zu transportieren waren, verdankt sich in Anbetracht der anscheinend mit ihnen verbundenen Geburtstagstradition womöglich sentimentalen Gründen der Erinnerung an glücklichere Zeiten, die sie gemeinsam mit ihrem Gemahl verbracht hatte. Dass es sich um dieselben Gläser handelt, die heute im Sammlungsbestand des Schlossmuseums sind, ist sehr wahrscheinlich, zumal sich in den anderen ehemaligen Schwarzburger Schlössern und musealen Sammlungen keine vergleichbaren Gläser erhalten haben. Das unlängst abgeschlossene Forschungsprojekt der Justus-Liebig-Universität Gießen und des Schlossmuseums Arnstadt, das sich mit dem Schwarzburger Glas zwischen 1600 und 1800 befasst hat und zu diesem Zweck die Glasbestände der vier musealen Sammlungen in den ehemaligen Schwarzburger Schlössern in Arnstadt, Bad Frankenhausen, Rudolstadt und Sondershausen sichtete, ergab in Bezug auf die hier vorgestellte Gruppe von Gläsern keine vergleichbaren Stücke. Lediglich ein sehr langes Scherzglas hat sich im Bestand der Heidecksburg Rudolstadt erhalten, dessen untere Partie einem Kuttrolf nachempfunden ist und das einen sehr langen und schmalen Schaft besitzt (Abb. 6).6 Das erwähnte Forschungsprojekt zum Glas der Schwarzburger spricht die Gläser der hier vorgestellten Gruppe durchweg nicht als Flöten, sondern als Stangengläser an.7 Abb. 3 Stangengläser in der Benutzung anlässlich des 57. Geburtstags von Fürst Günther Viktor von Schwarzburg-Rudolstadt und SchwarzburgSondershausen (1852–1925, reg. ab 1890/1909–1918) am 11. August 1909 im Kaisersaal der Schwarzburg

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