Leseprobe

163 Auf einem Deckelpokal im Schloss Moritzburg bei Dresden spielt sich die Szene in einer Waldlandschaft mit Kavalier und Förster ab (Abb. 6). Wieder lehnt die Frau sitzend mit über die Knie emporgezogenem Rock an einem Baum. Neben diesem liegt ein starker, vom Wipfel des Baumes gebrochener Ast am Boden. Der Forstbedienstete scheint die »Holzdiebin« auf frischer Tat ertappt zu haben, da er ausruft: »He, he, du saubrer Vogel du, jetzt komm ich eben recht darzu, Geh fort, laß diesen Windbruch liegen, sonst wirst du brave Schläge kriegen.« Doch ist weder die Frau gemeint noch ist diese eine Holzdiebin, die ohne Genehmigung des Waldbesitzers beim Holzsammeln erwischt wird. Der Ausruf gilt vielmehr dem Kavalier, womit sich die Darstellung als eine frivole Szene entpuppt. In ebenso zweideutiger Weise wird der Mann als »Vogel«13 beschimpft, und ihm werden metaphorisch die Folgen seiner geplanten Handlung dargelegt. Kein »Schnupfen« wäre es, den er sich holen könnte. Er würde sich einen »Windbruch«, eine Geschlechtskrankheit, zuziehen.14 Bei der Einbeziehung eines Baumes in die szenische Gestaltung zahlreicher Gläser dieses Sujets15 griffen die Graveure offensichtlich auf italienische Kupferstiche der Renaissance zurück. In Liebesszenen antiker Götter finden sich beispielsweise bei Marcantonio Raimondi und Giulio Bonasone Bäume als ebensolches stützendes oder dem Anlehnen dienendes Objekt.16 Der Halt gebende standfeste Baum als Symbol für den Mann und die sich um den Baum rankende Pflanze als Symbol für die Frau wurden zu einem Topos der antiken Liebesdichtung.17 Abb. 6 Deckelpokal mit erotischer Darstellung Dresden, 1730/1740, Detail Freundeskreis Schloss Moritzburg, Leihgabe im Schloss Moritzburg Abb. 5 Deckelpokal mit erotischer Darstellung Dresdener Hütte, um 1720, Detail Kunstpalast Düsseldorf, Glasmuseum Hentrich (P 1964-36 a,b) Zunächst sei auf die Grammatik des Textes auf diesem Glas hingewiesen. Das Komma vor dem zweiten »und« verleiht »vögel« eine beabsichtigte Zweideutigkeit. Grimms »Deutsches Wörterbuch« sieht den Ursprung des vulgär-umgangssprachlichen Ausdrucks »vögeln« für »begatten« beim Menschen im Reich der Vögel.9 Im »Nachtbüchlein« von Valentin Schumann heißt es 1559: »Wie werden die losen huren so wol auf hartem stro gefoglet und wir frommen weyber so ubel und selten auf guten betten.«10 Höflicher wird die nahezu gleiche Szene auf einem Dresdener Deckelpokal um 1720 in Worte gefasst, nun mit einem auf das Rotwild schießenden Jäger und einer vornehm gekleideten, augenfällig sich darbietenden Dame (Abb. 5). Die Inschrift darüber lautet: »Un bon chasseur n’epargne poil, ni plume. Mais quelques fois par hazard il s’enrhume.« – »Ein guter Jäger verschont weder Haar noch Feder. Aber manchmal läuft er Gefahr, sich einen Schnupfen zu holen.«11 Das Motiv der unter einem Baum sitzenden Frau wiederholt sich auf anderen Gläsern. Auf einem böhmischen Becher vom Ende des 17. Jahrhunderts in Dresden nähert sich aus der Luft ein Vogel der mit geschürztem Rock lagernden Dame. »Komm Vogel doch«, ruft sie ihm entgegen.12

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