189 »Wie die Beschaffenheit der Becherböden zeigt, wurden die drei Gläser aber in einem halbautomatischen Verfahren mittels einer Vorform hergestellt: Die konzentrischen Schlieren entstehen durch das Rotieren der Glasmacherpfeife beim Einblasen in die Form, da sich durch die drehende Bewegung die Glasmasse gleichmäßig verteilt. Die Dickwandigkeit, der sogenannte ›Eisboden‹ bildet sich durch das Aufstauchen der zähflüssigen Glasblase, wenn sie auf den Formboden trifft. Das Fehlen eines ›Abrisses‹ – der Narbe, die beim Absprengen von der Glasmacherpfeife oder nach dem ›Umheften‹ von dem Hefteisen zurückbleibt – belegt schließlich, dass die Becher nicht rein manuell entstanden sein können und ihre Mündung zuletzt ausgeformt wurde. Alle Kriterien weisen auf das Press-BlasVerfahren, in maschinenunterstützter, aber noch erkennbarer Handarbeit: Der mundgeblasene Rohling wird mit Hilfe eines Stempels in die Form gepresst und dabei gedreht. Der unbearbeitete und etwas unregelmäßige Mündungsrand sowie die Zartheit der Bechergläser sind charakteristische Merkmale dieser Technik und unterstützen den Befund.«5 DAS DEKOR Die Darstellungen auf der Vorderseite der drei Becher stimmen nicht nur in den Details, sondern auch in den Maßen überein. Dasselbe gilt für die beiden Dekore auf der Rückseite der breiteren Gefäße. Es ist offensichtlich, dass hier ein reproduzierendes Verfahren zur Anwendung kam. Der rasante technische Fortschritt im Zeitalter der Industrialisierung zielte auf eine schnellere, rationelle Massenproduktion. Gerade auf dem Gebiet der Drucktechnik gab es zahlreiche Neuerungen, wovon auch Gewerbe wie die Glasbläser profitierten, die ihre Produkte serienweise mit Bildern und Schriften versehen wollten. In seinem Buch »Die farbigen, bunten und verzierten Gläser«, das in dem Jahr erschien, in dem die hier behandelten Gläser hergestellt wurden, erläutert der in der Glasindustrie tätige Paul Randau die aktuellen Veredelungsverfahren:6 Email konnte mit aus Kautschuk hergestellten Stampiglien auf Gläser aufgetragen werden. Dabei wurden die auf den Stempeln erhaben gearbeiteten Schriftzüge oder Ornamente in Buchdruckqualität übertragen. Im Brennofen verschmolz dann die aus gemahlenem Glas und Bindemittel bestehende Emailfarbe mit dem Träger.7 Auch das aus der Keramikproduktion bekannte Umdruckverfahren kam zur Anwendung, um Email Gläsern seriell aufzuschmelzen. Zunächst erzeugte ein Lithograf auf übliche Weise das gewünschte Motiv auf einem Lithografiestein. Mit diesem wurde das Motiv in Email zunächst spiegelverkehrt auf ein Spezialpapier gedruckt, das mit einer Schicht aus Gummi und Stärkekleister überzogen war und möglichst keine mineralischen Zusätze enthalten sollte. Das Papier wiederum legte der Glasmacher mit der bedruckten Seite auf das vorgesehene Objekt. Durch leichtes Anfeuchten schmiegte es sich auch an runde Oberflächen an. Stärkeres Anfeuchten brachte die zwischen Papier und Farbe liegende Schicht zum Aufquellen, wodurch es möglich war, das Papier abzuziehen, ohne die Farbe wieder vom Glas herunterzureißen. Anschließend konnte das Email eingebrannt werden.8 Ähnlich verfuhr man, um ein und dasselbe Motiv in die Oberflächen verschiedener Gläser zu ätzen. Dafür wurde ebenfalls ein Lithografiestein vorbereitet und mit diesem eine Masse aus Asphalt, Terpentinöl und Fichtenharz auf Papier übertragen. Gedruckt wurden allerdings die Bereiche des Bildes, die nicht geätzt erscheinen sollten. Das Resultat wurde auf die gleiche Weise wie beim oben beschriebenen Verfahren auf das Glas umgedruckt. Setzte man das Glas nun der Wirkung von Fluorwasserstoffsäure aus, so fraß sich diese in die Bereiche der Glasoberfläche, die nicht Abb. 3 Erinnerungsglas zum 25-jährigen Regierungsjubiläum Rückseite Schlossmuseum Sondershausen (Kg. 642), Kat. 62
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