Leseprobe

191 Das Schankmaß war gesetzlich vorgeschrieben. Im Jahr 1881 erließ der Kaiser »im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags« ein »Gesetz, betreffend die Bezeichnung des Raumgehaltes der Schankgefäße«.14 Damit wurde die Anbringung des Füllstichs erstmals geregelt:15 »Schankgefäße (Gläser, Krüge, Flaschen etc.), welche der Verabreichung von Wein, Obstwein, Most oder Bier in Gast- und Schankwirthschaften dienen, müssen mit einem [. . .] begrenzenden Strich (Füllstrich) und [. . .] mit der Bezeichnung des Sollinhalts nach Litermaaß versehen sein.« Letztlich drückt sich in dieser Regelung das Bestreben aus, das Zusammenwachsen der einzelnen Bundesstaaten zu einem einheitlichen »Reich« mithilfe einer einheitlichen Gesetzgebung zu befördern. Zur technischen Umsetzung verfügt das Gesetz: »Der Strich und die Bezeichnung müssen durch Schnitt, Schliff, Brand oder Aetzung äußerlich und in leicht erkennbarer Weise angebracht sein.« So ist es auch bei den hier behandelten Gläsern der Fall. DAS REGIERUNGSJUBILÄUM Die nur noch zum Teil auf traditionelle Weise, zum Teil auch unter Verwendung von Formen und Pressstempeln hergestellten Becher, dekoriert mit in Serie produzierten Bildern, verziert mit preiswerten Goldrändern und – dem Gesetz für Schankgefäße entsprechend – mit Füllstrichen versehen, beziehen sich mit ihrer Aufschrift auf der Vorderseite auf das 25-jährige Regierungsjubiläum von Karl Günther von Schwarzburg-Sondershausen (Abb. 4). Der am 7. August 1830 geborene Fürst war der zweite Sohn von Günther Friedrich Carl II. von Schwarzburg-Sondershausen und seiner ersten Frau Marie Karoline Irene von SchwarzburgRudolstadt. 1880 bewegte Karl Günther, nach dem Tod seines älteren Bruders 1833 Erbprinz, seinen an einer Augenkrankheit leidenden Vater zum Thronverzicht und trat am 17. Juli die Herrschaft in Sondershausen an. Da die 1869 geschlossene Ehe Karl Günthers mit Marie von SachsenAltenburg (Abb. 5) kinderlos war und Leopold, der einzige noch lebende Bruder des Fürsten, unverheiratet blieb, war das Aussterben der Linie 1896 absehbar. Aus diesem Grund erneuerten Schwarzburg-Sondershausen und SchwarzburgRudolstadt in diesem Jahr ihren Erbfolgevertrag von 1713. Somit beerbte der Rudolstädter Günther Viktor den am 28. März 1909 verstorbenen Karl Günther und führte fortan beide Schwarzburger Fürstentümer in Personalunion. Die Witwe Karl Günthers lebte noch bis zu ihrem Tod am 5. Juli 1930 im Schloss Sondershausen.16 Das auf der Vorderseite der Becher erwähnte 25-jährige Regierungsjubiläum wurde in Sondershausen vom 15. bis zum 18. Juli 1905 festlich begangen. Die Rückseite der breiteren Becher spricht zudem von einem »Heimatsfest«.17 Eine gedruckte Einladung, die sich im Schlossmuseum Sondershausen erhalten hat, lädt »Zu dem Heimatsfest, das im Verein mit der / Jubelfeier / des / 25jährigen Regierungsjubiläums Sr. Durchl. des Fürsten Karl Günther [. . .] begangen werden soll«.18 Es wurden demnach unterschiedliche, wenn auch miteinander in Verbindung stehende Feste veranstaltet und auch als solche wahrgenommen, wie die Aufzeichnungen des Heimatforschers Günther Lutze zur Regierungszeit Karl Günthers zeigen. Er spricht von der »Jubelfeier, mit welcher vereint ein Heimatsfest«19 stattgefunden habe. Tatsächlich handelt es sich beim Regierungs- oder, allgemeiner, beim Monarchiejubiläum und beim Heimatfest um unterschiedliche Festtypen, die im »langen 19. Jahrhundert« entwickelt wurden und sich äußerster Popularität erfreuten, nicht zuletzt, weil sie spezifischen Konstellationen und Bedürfnissen ihrer Zeit entsprachen. Abb. 5 Adolf Dette, Atelier für Photographie und Portrait-Malerei Fürstin Marie von Schwarzburg-­ Sondershausen Fotografie, Kollodiumverfahren, Sondershausen, nach 1895 Schlossmuseum Sondershausen (FA 3939)

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