76 KELCHGLAS MIT AUFSATZ EINER HIRSCHFIGUR | Deutschland, möglicherweise Thüringen, Ende 17./1. Drittel 18. Jh. Herkunft: ehemaliger Fürstlich- Schwarzburger Besitz Inv.-Nr.: Kg 192 farbloses Glas H gesamt 34,0 cm; H Kelch 22,1 cm; Dm Lippe 10,5 cm restauriert | FORM: leicht ansteigender Fuß mit umgeschlagenem Rand, Abriss; Balusterschaft zwischen Scheibengruppen, Hohlknauf mit drei Ausstülpungen, von denen eine offen ist; konische, unten gerundete Kuppa, aus dieser mittig ein Röhrendorn aufsteigend, über den 76 ein Rohr gestülpt ist, welches den schwebenden Körper einer hohlen Hirschfigur (gerader 14-Ender) mit angewinkelten Läufen durchstößt, die Läufe des Hirsches am Rohr ansetzend; um das Rohr gelegte und gekniffene Glasfäden am unteren Ende und an den Schalen (Hufen) des Hirsches KOMMENTAR: Um aus dem Glas trinken zu können, hatte der Trinker am Äser des Hirsches zu saugen, da dieser ihm die Möglichkeit, direkt aus dem Kelch zu trinken, versperrte. Der Wein floss dann durch das Saugrohr des Tieres in dessen Körper. Zudem strömte der Wein über das Saugrohr des Hirsches in den Röhrendorn des Glases und anschließend durch den offenen Kuppaboden und – wenn der Trinker dies nicht bemerkte und rechtzeitig mit den Fingern verschloss – aus der Öffnung an einer der drei Ausstülpungen, wodurch sich der Benutzer besudelte. In Deutschland waren diese Gläser vom 16. bis in die 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts sehr beliebt und verbreitet. Erhalten haben sie sich mit bis zu vier Hirschfiguren, Halbfiguren von Hirsch und Pferd sowie berittenem Hirsch. Thüringische Glashütten hatten in ihrer Preisliste vom 29. Juni 1735 Gläser mit einer, vier und sogar sechs Hirschfiguren im Angebot (Stieda 1913, S. 222). QUELLEN: Inventar Schloss Schwarzburg 1912, Schreibzimmer Seiner Durchlaucht des Fürsten, Einlage zu Nr. 91, Nr. 29 PUBLIZIERT: Giermann 2022, S. 21 f., Abb. 4 und 5 VERGLEICHSSTÜCKE: zahlreich genannt bei Rückert 1982, Bd. 1, Nr. 233 und Laméris, Barreda 2022, S. 167, siehe auch S. 135–141; außerdem: TLMH Rudolstadt, Inv.-Nr. G 0243 (drei Hirsche); Hörning o. J., Nr. 18 (fragmentarisch); GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig, Inv.-Nr. V 270 (fragmentarisch, H Hirsch mit Steigrohr 39,0 cm; Dm Rohr 3,5 cm); Toledo Museum of Art, Inv.-Nr. 2004.89A (ein Hirsch); Auk. im Kinsky 107, Nr. 606 (vier Hirsche); fragmentarisch auch Auk. Fischer 148, Nr. 89; Auk. Ders. 181, Nr. 121
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