Leseprobe

64 84 »NEUE-HAUS-­ WILLKOMM« | Thüringen, Glashütte Schmalenbuche Glasmaler Hans Müller signiert »HM« (ligiert), datiert 1669 Herkunft: ehemaliger Fürstlich-­ Schwarzburger Besitz Inv.-Nr.: Kg 250 farbloses Glas mit grüner Tönung Emailfarben- und Golddekor H 39,5 cm; H ohne Deckel 28,0 cm; Dm Lippe 13,2 cm Boden, Standring und Deckelknauf ergänzt, mehrere Sprünge, restauriert | FORM: gewölbter Boden, leicht fassförmiger Körper mit umgelegtem Standring; Deckel mit zunächst gerader, zur Mitte ansteigender Schulter, gedrückter Kugel und mehrfach gegliedertem, in einer Kugel endendem Knauf DEKOR: polychrome Emailmalerei; hauptseitig Kartusche mit zwei Gabeln und Kamm, im Rand des anhängenden schweifwerkartigen Zierelements mit Rhombus ligierte Initiale »HM«; über der Kartusche thronende nackte Engelsfigur mit Pokal und Weintraube in den Händen; darüber zwei mit Heiligenschein ausgestattete, ebenfalls nackte Engelsfiguren mit Zepter bzw. Schwert, eine Krone über das Haupt der sitzenden Figur haltend; links und rechts der Kartusche zwei mit gerafften Röcken gewandete und geflügelte Frauenfiguren auf Rasenleiste mit Pokal bzw. Knickhalslaute, die linke Figur mit Nimbus; gegenständig Wappen der Grafen von Schwarzburg; zwischen Wappen und Kartusche ligierte Spiegelmonogramme »AAGZS« unter Grafenkrone bzw. »AEJ«; darunter Aufschrift: »Der neű Hauswilkom bin ich genant, allen guden freűnden hiher gesant ausgefült mit bir oder wein das wer zum ersten mal kömpt herei man mich in also setze für damit ein ider seh undt spür wes standes auch diselben seint das man es gar gut mit in meindt nimpt er mich den gutwillich an duth Er als ein verstendig man, trinkt er mich 2. oder 3. Mal aus, kömpt er nich nüchdern aus diesen Haus wer mich austrinckt zu ider zeit den gesegnes die heilige treifal digkeit Ich bin schön hel und klar, aus asch undt sant gemacht durch menschen kunst und wint in diesen form gebracht, setz man mich unsanft hin so brech ich gleich enzwey˝, mich dünckt ein mensch u. ich das sey˝ fast einerley˝, GLÜCK UND GLAS, WIE BAL ZUbICHT DAS, ANNO DOMINI 1669 Den 24. Septemb:«; Unter dem Lippenrand umlaufendes breites Goldband zwischen Linien und Bogenlinien; Deckelrand getupft, Schulter mit umlaufenden Streifen und stilisiertem, vegetabilem Dekor, Wölbung darüber mit lanzettförmigen Streifen KOMMENTAR: Der Name »Neue-Haus-­ Willkomm« leitet sich ab von dem 1669 eingeweihten gräflich-schwarzburgischen Jagdhaus »Neues Jagdhaus« bei Schmalenbuche am Rennsteig, für das der Humpen als Begrüßungsgefäß angefertigt wurde. Ein Inventar aus diesem Jahr nennt den Willkomm an erster Stelle unter den Gläsern: »Ein großer Willkomm-Humpen mit dem Gräflichen Wappen, Namen und gemaltem Deckel«. Teile der Aufschrift finden sich auch auf Thüringer Gläsern in Erfurt (Kühnert 1938, S. 324) und Prag (Kühnert 1931, S. 601). Die Worte »Glück und Glas, wie bald zerbricht das« sind wiederholt auf Gläsern zu lesen. Das Monogramm »AAGZS« steht für Albert Anton Graf zu Schwarzburg-Rudolstadt (1641–1710, reg. ab 1646, bis 1662 Vormundschaft der Mutter), »AEJ« für Aemilie Juliane von Barby-Mühlingen (1637–1706), Gemahlin Albert Antons. Gabel und Kamm sind Bestandteile des Schwarzburger Wappens. Die geflügelten Frauenfiguren mit Pokal bzw. Laute allegorisieren nach dem italienischen Gelehrten Cesare Ripa in dessen 1669 in Deutsch erschienener »Erneuerte Iconologia oder Bildersprach« die Fröhlichkeit Allegrezza und die Harmonie Armonia, die »wohlklingende Zusammenstimmung«. Die von den nimbierten Erscheinungen gehaltenen Rangzeichen Krone, Zepter und Schwert symbolisieren möglicherweise die kaiserliche Gnade und deren Schutz für das Haus Schwarzburg. Heraldisch lässt sich die Krone am ehesten mit der Hauskrone Kaiser Rudolfs vergleichen. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts war der Willkomm aufgrund seines defekten Zustandes nicht mehr in Gebrauch. Auf einem Foto von 1895 fehlen der Standring und der Deckelknauf. Spätestens 1932 war der Boden des Glases »nur noch angekittet« (Kühnert 1932, S. 494). PUBLIZIERT: Cederström 1895, S. 4 f.; Schmidt 1922, S. 194 erwähnt; Kühnert 1929, S. 2; Kühnert 1932, S. 493 f. (Dass. Kühnert 1973, S. 385–387); Schmidt 1932, S. 597 erwähnt; Kühnert 1963, S. 175 (Dass. Kühnert 1973, S. 436 und Abb. 7); Bulletin du Verre, Nr. 7 (1973–1976) [erschienen 1977], Abb. 157; Ranz 1998; Müller-Andörfer 2006, S. 62; Cremer, Tiedtke 2023, S. 12 f. LITERATUR: Kühnert 1929; Kühnert 1973, S. 291 f., 365–367, 373 f, 385–387, 436 84

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1