Leseprobe

q 40 Markus A. Denzel Der weitgespannte Fernhandel und das auf Vertrauen und Reputation basierende commendaSystem199 bedurfte – geradezu selbstverständlich – einer exakten Buchführung, auf deren Grundlage am Ende einer Geschäftsreise eines Agenten dieser mit dem Khodja abrechnen konnte.200 Diese Buchführung erfolgte in Form einer Papierrolle (griech. thomar), die als eine Art Kurzversion eines Journals in dualer Buchführung (kata ruznama)201 alle Transaktionen nach Debit und Credit auflistete, beginnend mit den Vereinbarungen des jeweiligen commenda-Vertrages und geordnet nach den jeweiligen Orten bzw. Ländern, in denen der Agent seinen Handel betrieb. Nach erfolgter Abrechnung stellte der Khodja dem Agenten einen ghatilayagir aus, ein Schreiben, mit dem die commenda regelgerecht aufgelöst und der Agent gleichsam ›freigesprochen‹ wurde. War die Buchführung hingegen fehlerhaft oder gar mit Fälschungen in betrügerischer Absicht versehen, drohten dem Agenten Strafen von bis zu einem Jahr Gefängnis oder wiederholter Auspeitschung.202 In Amsterdam gaben die armenischen Kaufleute die Buchhaltung in der Regel an professionelle Buchhalter ab, die für einige Jahre engagiert wurden und die die Bücher in armenischer Sprache zu führen hatten.203 In Neu-Julfa schlichtete eine Versammlung gewählter Gemeindevorsteher (Vacharakanats zhoghov) nach mündlich tradierten Regeln des armenischen Handelsrechts kommerzielle Konflikte; ähnliche Kaufmannsgerichte in anderen armenischen Gemeinden standen mit dem Gremium in Neu-Julfa in Verbindung und tauschten untereinander Informationen aus.204 Die für diese Geschäftstätigkeit erforderliche Ausbildung der Agenten erfolgte zunächst informell innerhalb der Großfamilien bei älteren Familienmitgliedern: »The family firm trained the younger merchants in calligraphy, accountancy, and the use of foreign languages. When they were old enough to accept financial responsibility, a trial sum would be assigned to them to manage on their own and they would graduate to positions as the firm’s factors in provincial branches. From that point onward inborn talent alone determined how high the youthful merchant would climb.«205 Ergänzend konnte der Besuch einer ›Handelsschule‹ beim Erlöserkloster in Neu-Julfa hinzukommen, die unter Leitung von Constant von Julfa stand und an der in den 1680er Jahren etwa 300 Nachwuchskräfte ausgebildet wurden. Das Lehrbuch war bemerkenswerterweise ein handschriftliches Handelskompendium von Constant aus ebendiesem Jahrzehnt, das folgende Themen behandelte:206 199 Aslanian, »The Salt in a Merchant’s Letter«, S. 150. Vgl. auch ebd., S. 187, und sehr ausführlich ders., Social Capital, S. 384–386, 390–393. 200 Zum Beispiel: Khachikyan, Sarhad’s Account-Book. Sarhad diente 1713 als commenda-Agent in Holland und Russland. 201 Herzig, The Armenian Merchants, S. 435–437, und Aslanian, Indian Ocean, S. 126, sprechen von einer doppelten Buchführung, wobei dieser Begriff für die armenische Form eher unpassend erscheint. Zur armenischen Art der Buchführung vgl. auch Baghdiantz-MacCabe, The Shah’s Silk, S. 219–223. 202 Ganjalyan, Diaspora und Imperium, S. 64 und S. 66 mit Anm. 285; vgl. Aslanian, Indian Ocean, S. 198; ders., The Circulation of Men and Credit, S. 135 f.; ders., Indian Ocean, S. 197–200; Khachikian, Typology, S. 2 f. – Als Fallbeispiel siehe etwa Aghassian/Kévonian, The Armenian Merchant Network, S. 78–81. 203 Bekius, The Armenian Colony, S. 272. 204 Ebd., 166–201. 205 Chaudhuri, Trade and Civilisation, S. 211. 206 Ganjalyan, Diaspora und Imperium, S. 64 f. mit Anm. 277; Aslanian, The Circulation of Men and Credit, S. 136– 138 mit Anm. 39; ders., «The Salt in a Merchant’s Letter”, S. 15; Curtin, Cross-Cultural Trade, S. 193.

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