Leseprobe

q 42 Markus A. Denzel Dabei nahmen die Schriften über die Buchführung einerseits und die über die kaufmännische Praxis andererseits Schlüsselstellungen ein, während Ausführungen zur Warenkunde vor dem 18. Jahrhundert in der Regel in letztere integriert wurden und sich in beiden Hauptgattungen vielfach auch Ausführungen zur Arithmetik fanden. Jedoch stehen im Folgenden die Schriften zur Handelspraxis im Mittelpunkt der Ausführungen: Gerade aufgrund ihres – in der Regel weit überwiegend – handelspraktischen Inhalts werden sie als ›Handelspraktiken‹ bezeichnet.210 Der Begriff der ›Handelspraktik‹ geht dabei auf das wohl berühmteste spätmittelalterlichen Werk dieser Art zurück, das seinen Titel erst im 18. Jahrhundert von seinem damaligen Herausgeber Gian Francesco Pagnini della Ventura (1766)211 erhalten hatte: Francesco Balducci Pegolottis Pratica della Mercatura (um 1340),212 mit dem die Technik der Anlage derartiger kaufmännischer Notizbücher ihren ersten Höhepunkt erreichte. Auch die etwa ein Jahrhundert jüngere, ähnliche Schrift von Uzzano (um 1442),213 welche die umfassendste, wenn auch bereits zur Zeit ihrer Abfassung zumindest teilweise veraltete214 Handelspraktik des 15. Jahrhunderts darstellt, wurde von Pagnini unter diesem Titel herausgegeben. Die Handelspraktiken umfassen dabei die für den Kaufmann einer Epoche, einer Region oder einer bestimmten Spezialisierung – etwa auf eine einzelne Warengattung oder das Wechselgeschäft – in der Regel (relativ) systematisch wiedergegebenen Informationen über Münzen, Maße und Gewichte an verschiedenen Handelsplätzen. Darüber hinaus werden die an verschiedenen Handelsplätzen gebräuchlichen Usancen (»Platzgebräuche«) des Handels, allgemein oder speziell für einzelne Waren(gruppen) – unter anderem Fracht, Maklergebühren, Zölle und Zollbestimmungen, Niederlagevorschriften usw. – und des Zahlungsverkehrs berücksichtigt. Mit der Ausbreitung des bargeldlosen Wechselverkehrs seit dem 14. Jahrhundert wurde gerade dessen Abwicklung, seine Usancen und Wechselkurse ein, vielfach auch der zentrale Gegenstand der Ausführungen. Auch die Institutionen des Handels und Zahlungsverkehrs können in Handelspraktiken Beachtung finden, so vor allem die großen internationalen Messen. »Nicht das abstrakte Wissen der Scholastik, das dem Alltagsleben mit Verachtung gegenüberstand, sondern Mitteilungen über das Konkrete, Gegenständliche und Faßbare bildeten das, was sich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Verfasser dieser kaufmännischen und unternehmerischen Handbücher befand«.215 Der jeweilige Verfasser strebte dabei zu allen Zeiten insoweit nach weitgehender Vollständigkeit an Information, als dies für seinen avisierten Adressatenkreis relevant war. Die Gesamtheit spätmittelalterlicher Handelspraktiken gliedert Peter Spufford in Zibaldoni (in der Übersetzung von Michael North: »Kaufmannsnotizbücher«) und Manuali (»Kaufmannshand210 Johannes Burkhardt bevorzugt den Begriff »Tractatus de Mercatura, das Handelsbuch und Kaufmannshandbuch, in dem das professionelle Wissen des Berufsstandes zusammengefaßt wird«; er schließt hierbei aber auch Warenkunde, Handelsrecht und Handelskorrespondenzlehre mit ein, nicht jedoch Buchführung und angewandte Rechenkunst; Burkhardt, Die Entdeckung des Handels, S. 18. 211 Pagnini della Ventura, Della decima. 212 Pegolotti, La Pratica della Mercatura. 213 Pagnini della Ventura, Delle decima, Bd. IV (1766): La Pratica della mercatura. 214 Spufford, Handbook, S. XLIX, 191. 215 Gurjewitsch, Der Kaufmann, S. 294.

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