Leseprobe

Das armenische Kaufmannshandbuch des Łukas Vanandec‘i (Lukas von Vanand) von 1699 43 q bücher«).216 Zibaldoni sind dabei die ursprüngliche Form handschriftlicher Bücher über die Handelspraxis an den Orten, an denen der jeweilige Kaufmann, der das Notizbuch niederschrieb, oder seine Unternehmung Handelsgeschäfte tätigte, die er selbst bereist hatte, oder wo er interessiert war, Geschäfte neu aufzunehmen. Das einzelne Notizbuch führte ein Kaufmann somit selbst, um Informationen für sich in kompakter Form vorliegen zu haben und nachschlagen zu können, oder für seinen Sohn, Nachfolger, Geschäftspartner usw., um ihm diese Informationen zur Verfügung zu stellen. Sein vorrangiger Quellenwert liegt somit in der individuellen Wissensvermittlung, d. h. im Transfer von kaufmännischem Spezialwissen, das für eine Veröffentlichung aus Gründen der firmeninternen Geheimhaltung nicht in Frage gekommen wäre. Damit spiegeln sich in den Zibaldoni die im Laufe eines Kaufmannslebens gesammelten mehr oder minder individuellen Erfahrungen wider, die auf diese Weise späteren Generationen bewusst überliefert und als Basiswissen für künftige Geschäfte zur Verfügung gestellt werden. Ein Zibaldone wurde daher häufig auch nicht in einem kurzen Zeitraum abgefasst, sondern zum Teil über mehrere Jahrzehnte geführt. Aufgrund seines individuellen Charakters kann es nicht durchgängig als allgemein gültig oder repräsentativ für die Handelspraxis einer Epoche gelten. Demgegenüber können unter Manuali alle Standardtexte verstanden werden, die den einzelnen Kaufleuten zur Zusammenstellung individueller Zibaldoni als Basis dienten. Im Italien des 15. Jahrhunderts war die Kompilation oder mindestens das Kopieren eines Notizbuches zu einem regulären Teil der Kaufmannsausbildung geworden.217 Diese Handbücher der Handelspraxis besitzen gegenüber den Notizbüchern als zu analysierende Quelle den Vorteil, dass sie in der Regel das Wissen ihrer Zeit auf dem Handelssektor repräsentieren. Als das älteste Manuale im Vollsinn des Wortes ist nach Spufford El Libro di Mercatantie et Usanze de’ Paesi218 anzusehen, das er als »das Standardhandbuch für junge Geschäftsleute im 15. Jahrhundert« bezeichnet: »Der Inhalt war sicher umfassender als in jedem anderen erhaltenen Notizbuch; als ob er als Handbuch konzipiert worden wäre.«219 Dieser Standardtext diente in der kaufmännischen Ausbildung zum Studieren und Abschreiben, letztlich damit auch als Grundlage für die Kompilation neuer, individueller Zibaldoni, vielleicht sogar für die oben erwähnte Handelspraktik von Uzzano, die ja – wie im übrigen auch Pegolottis Werk – noch als Zibaldone zu gelten hat.220 Allerdings ist Uzzanos Handelspraktik unter den Kaufmannsnotizbüchern des 15. Jahrhunderts wohl das umfassendste gewesen. Dass es bereits zur Zeit seiner Abfassung zumindest teilweise veraltet war, war keineswegs ein Einzelfall.221 Mit dem Libro di Mercatantie war damit im Italien des 15. Jahrhunderts ein Standardtext vorhanden, der eine deutlich höhere Verbreitung erzielen konnte als alle Handelspraktiken vor ihm; denn mit der revolutionierenden technischen Innovation im Bereich des Buchdrucks durch den 216 Zum Folgenden Spufford, Spätmittelalterliche Kaufmannsnotizbücher. 217 Ebd., S. 110. 218 Borlandi, El Libro di Mercatantie. Nach Kellenbenz war sein Verfasser Giovanni Chiarini; dies ist aber ungesichert; Kellenbenz (Hrsg.), Handelsbräuche, S. 6. 219 Spufford, Kaufmannsnotizbücher, S. 110. 220 Ebd., S. 113. 221 Ebd., S. 109; ders., Handbook, S. XLIX, 191.

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