q 44 Markus A. Denzel Druck mit beweglichen Lettern222 hatte sich die Möglichkeit eröffnet, auch kaufmännische Werke aller Art leichter, schneller, weiter und kostengünstiger zu diffundieren als jemals zuvor:223 Noch im ausgehenden 15. Jahrhundert wurde der Libro di Mercatantie dreimal gedruckt (Florenz 1481, Florenz etwa 1490, Parma 1498).224 Diese Entwicklung war dabei nicht nur für die italienischen Kaufleute von herausragender Bedeutung, sondern vielleicht sogar in noch größerem Maße für wissbegierige junge Kaufleute von jenseits der Alpen, die seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert zunehmend mindestens einen Teil ihrer Ausbildung in Italien absolvierten, so beispielsweise Anton Fugger oder sein Hauptbuchhalter Matthäus Schwarz: Der Libro di Mercatantie konnte ihnen als Grundlage für die Erstellung einer eigenen, individuellen Handelspraktik dienen, die sie entweder gleich als Ertrag ihrer Lehr- und Studienjahre in Italien mit nach Hause brachten oder die sie erst in ihrem späteren Wirkungskreis anlegten.225 Auf diese Weise fand das italienische Vorbild – oder um mit Fernand Braudel zu sprechen: das »Modell Italien«226 – wie in vielfältigen Bereichen des Geistes-, Kultur- und Wirtschaftslebens auch im Bereich der Handelspraktiken seine Nachahmer in weiten Teilen West- und Mitteleuropas. In größerer Zahl finden sich solche aber erst seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert, als sich im Gefolge der Europäischen Expansion nach Übersee der Schwerpunkt der europäischen Wirtschaft aus dem Mittelmeerraum an die Atlantikküste zu verlagern und Nordwesteuropa zur ökonomisch führenden Region Europas aufzusteigen begann. Aus Rücksicht auf ihre Adressaten unterschieden sich die neuen nicht-italienischen Handelspraktiken von ihren italienischen Vorbildern dabei naturgemäß nicht nur in der Sprache, sondern vor allem im geographischen Rayon abgehandelter Handelsplätze. Neben Italienisch wurden Deutsch, Niederländisch, Französisch und Englisch die wichtigsten Sprachen der Handelspraktiken; als zentrale Druckorte erscheinen neben Venedig Amsterdam, Antwerpen, Augsburg, Nürnberg, Frankfurt am Main, Lyon und London.227 Gerade Amsterdam entwickelte sich im 17. Jahrhundert – ähnlich wie Nürnberg und Antwerpen im 16. Jahrhundert – zu einem Zentrum der Veröffentlichung von Kaufmannshandbüchern, die ja anders als die nur unternehmensintern gebrauchten Notizbücher bewusst für eine Veröffentlichung verfasst wurden.228 Dabei wurden in Amsterdam auch auf bestimmte Bereiche der kaufmännischen Praxis spezialisierte Handbücher erarbeitet und gedruckt, so etwa 1629 die wohl älteste Spezialpraktik für den Wechselverkehr, Martin van Veldens Fondament van de Wisselhan222 Vgl. Weyrauch, Kommunikationsrevolution; Schmidtchen, Technik. 223 Vgl. Hoock/Pierre, La contribution de l’imprimé. 224 Nach Spufford, Kaufmannsnotizbücher, S. 111. 225 Im Fall von Matthäus Schwarz ist sein Kaufmannsmannnotizbuch überliefert: Westermann/Denzel, Kaufmannsnotizbuch. 226 Vgl. Braudel, Modell Italien. 227 Arnold, Kaufmannsbücher, S. 4. 228 Im oberdeutschen Sprachraum wurde als erstes das Handelsbuch des Nürnberger Rechenmeisters Lorenz Meder († 1561) als eine Art Standardwerk für Kaufleute konzipiert und für die Drucklegung zusammengestellt. Mit dieser Veröffentlichung der bislang »verborgenen Künste« der Kaufleute in seinem Buch 1558 beging er bewusst einen Tabubruch, nämlich die Offenlegung bislang streng gehüteter kaufmännischer Geheimnisse; Kellenbenz (Hrsg.), Handelsbräuche, S. 125 sowie S. 72.
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