231 q 1 Einleitung Am 30. April 1720 begann der armenische Kaufmann Ełia Mušełyan aus Karin bzw. Erzrum, der damals in der Täbriser Filiale der französischen Ostindienhandelskompanie arbeitete, die Bücher seiner Bibliothek vollständig aufzulisten. Unter Nummer 10 dieser Liste schrieb Ełia: »Ich hatte ein Buch über die Kunst der Maße und Gewichte der ganzen Welt: Nummer 10.«2 Zweifelsohne meinte Ełia das Buch des Lukas von Vanand (Łukas Vanandec‘i) »Ein Schatz über Maße, Gewichte, Zahlen und Währungen der ganzen Welt«, das in Amsterdam ungefähr 20 Jahre zuvor, 1699, erschienen war.3 Ełia Mušełian war einer jener tausende armenischer Kaufleute, die in der Frühen Neuzeit4 die Handelsrouten des Ostens und des Westens bereisten und vielseitige Informationen über die Handelstätigkeit benötigten. Die Tatsache, dass derartige Informationen dringend erforderlich waren, ließ die Nachfrage nach Literatur über den Handel steigen. Obwohl die Beispiele derartiger Literatur in der armenischen Wirtschaftsgeschichte wenig untersucht worden sind, existieren viele davon in der frühneuzeitlichen Geschichte der Armenier. Das Ziel dieses Artikels ist die Untersuchung des Handelshandbuches von Lukas von Vanand in Anlehnung an die armenische Handelsliteratur in der Frühen Neuzeit. Im ersten Teil der Untersuchung wird das literarische Erbe des Gründers der armenischen Handelsliteratur, Kostand von Julfa (Kostand J̌ułayec‘i), vorgestellt; im zweiten Teil wird dann die Frage nach dem Einfluss der Werke des Kostand von Julfa auf das kaufmännische Werk von Lukas von Vanand untersucht. Im Ergebnis wird die herrschende Hypothese, dass das Handbuch von Lukas von Vanand die verbesserte Fassung der Handbücher von Kostand von Julfa sei, neu bewertet. Kostand von Julfa und seine Kaufmannshandbücher Der Vorort Neu-Julfa der safawidischen Hauptstadt Isfahan, dessen Geschichte am Anfang des 17. Jahrhunderts begann, als Schah ‘Abbas I. die armenische Bevölkerung von Julfa dorthin deportierte, verwandelte sich in kurzer Zeit in ein Zentrum der armenischen Kaufleute aus Julfa, die die staatlichen Monopole Persiens für den Export von Seide innehatten. Die Erweiterung der geographischen Grenzen der Handelstätigkeit der armenischen Kaufleute führte dazu, dass in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Neu-Julfa zum Zentrum des armenischen Handelsnetzes wurde, welches sich von Manila bis London und Amsterdam erstreckte.5 1 Redaktionelle Überarbeitung: Markus A. Denzel, Leipzig. 2 Čʻugaszyan, Ełia Mušełyan (Karnecʻu) gradaranə, S. 70. Die Liste dieser Bücher wurde der Kanzlei von Ełia Karnecʻi entnommen, die im Archiv der Außenpolitik Russlands erhalten ist. Diese Kanzlei, die reiche Materialien über die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts enthält, wartet noch auf eine ausführliche Untersuchung; für eine wissenschaftliche Beschreibung der Kanzlei siehe Danełyan, Bacʻar˙ik Žar˙angutʻyun. 3 Vanandecʻi, Ganj čʻapʻoy. 4 Zur Analyse der armenischen Geschichte der Frühen Neuzeit als eine besondere historische Phase siehe Aslanian, Port Cities and Printers, S. 53–58. 5 Zur Ausbreitung des Welthandelsnetzes von Neu-Julfa ders., From the Indian Ocean; Herzig, The Armenian Merchants, S. 119–151.
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