q 232 Sargis Baldaryan Die Rolle, die armenische Kaufleute im Welthandel in der Frühen Neuzeit spielten, war so beeindruckend und so außergewöhnlich, dass der berühmte französische Historiker Fernand Braudel die Handelstätigkeit der Armenier als »einen zauberhaften Erfolg« charakterisiert hat.6 In seinem Versuch, »den zauberhaften Erfolg« der armenischen Kaufmänner im Handel zu erklären, hat der bedeutende Forscher der Geschichte des safawidischen Persiens, Rudi Matthee, auf einige Gründe hingewiesen, darunter auf »ihre (d. h. der Armenier; S. B.) hervorragenden Kenntnisse von Märkten und Strassen.«7 Die hervorragende Vertrautheit der Armenier mit Handelsinformationen bzw. mit »Handelsgeheimnissen«,8 die ein Ergebnis der aktiven Weiterleitung von Informationen und eines entwickelten Systems ihrer Kommunikation war, war in der Tat einer der Erfolgsfaktoren der armenischen Kaufleute. Wichtige Quellen der Informationen der armenischen Kaufleute waren die Kaufmannshandbücher. Die bedeutendsten Werke der armenischen Handelsliteratur der Frühen Neuzeit sind die Handbücher des ehemaligen Kaufmanns9 Kostand von Julfa, die unter den Titeln »Ašxarhažołov« und »Dṛnern ṛałamin« in Neu-Julfa 1687 verfasst wurden. Der Autor war für seine Unterrichtstätigkeit auf dem Gebiet des Handels bekannt, welche er in der Schule des Klosters Surb Amenapʻrkičʻ für angehende Kaufleute von Neu-Julfa ausübte. Die Werke von Kostand von Julfa wurden eindeutig zur Verwendung im Unterricht in der Handelskunst verfasst. Die Nachfrage der armenischen Kaufleute nach kaufmännischer Fachliteratur garantierte allerdings für die Handbücher von Kostand von Julfa eine viel weitere Verbreitung, als dies vom Autor anfangs gedacht war. Seine Handbücher wurden für armenische Kaufleute aus Neu-Julfa zu wichtigen kaufmännischen Standardwerken, die sie während ihrer Handelsreisen überall begleiteten.10 Die Handbücher von Kostand von Julfa wurden somit nicht nur als Lehrbücher an der Schule des Klosters Surb Amenapʻrkičʻ verwendet, sondern auch von armenischen Kaufleute in jene Orte mitgenommen wurden, die sie für ihre Handelsgeschäfte besuchten. Diese Standard-Handbücher wurden folglich nicht nur in Neu-Julfa, dem Zentrum des Welthandelsnetzes der Kaufleute von Julfa, verwendet, sondern auch in den verschiedenen europäischen und asiatischen Städten, die zu diesem Netzwerk gehörten. Allerdings wurden diese Werke, die sich an die armenischen Kaufleute wandten, auch zu dieser Blütezeit des armenischen Buchdruckes nicht gedruckt, so dass sie heute nur als Handschriften, wenn auch in nicht wenigen Exemplaren vorliegen. Der Grund, warum die Werke des Kostand von Julfa nicht gedruckt wurden, könnte in den Schwierigkeiten der Organisation des Buchdrucks gesucht werden, die am Ende des 17. und am Anfang des 18. Jahrhunderts in Neu-Julfa gegeben waren. Eine Vorstellung von diesen Schwierigkeiten geben insbesondere die Briefe des geistlichen Leiters von Neu-Julfa, Stephan von Julfa (Stepʻanos J̌ułayecʻi), an die armenischen Kaufleute, die sich in den Handelszentren Europas niedergelassen hatten.11 Die Tatsache, dass die 6 Braudel, Civilization and Capitalism, vol. 2, S. 158. 7 Matthee, Merchants in Safavid Iran, S. 237 f. 8 Markovits, The Global World of Indian Merchants, S. 25. 9 Für die Erschließung der kaufmännischen Vergangenheit des Kostand von Julfa siehe Baldaryan, Mi kʻani ditarkum. 10 Aslanian, Indian Ocean, S. 137. 11 Diese Briefe von Stephan von Julfa sind im Staatsarchiv Florenz erhalten: Archivio di Stato di Firenze, Acquisti e Doni, busta 123, Documenti Armeni Inserto 1, 1–38. Für die Ausgabe zweier seiner Briefe siehe Aslanian, Print in Safavid Iran.
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