Leseprobe

q 10 Markus A. Denzel Das Kaufmannshandbuch wurde am 21. März (julianisch) bzw. 2. April (gregorianisch) 1699 abgeschlossen und in armenischer Sprache – genauer im Dialekt der Armenier Persiens bzw. NeuJulfas – veröffentlicht.6 Es ist somit für Kaufleute aus dem Inneren dieses Handelsnetzwerkes, Nachwuchskräfte und an den Handelsverhältnissen in fremden Städten Interessierte, verfasst worden, nicht für Außenstehende. Es wurde gedruckt, um nach Neu-Julfa geschickt zu werden, und sicherlich für in Amsterdam ansässige Armenier, wahrscheinlich auch für solche in Italien und vielleicht sogar für die an anderen Orten in Europa oder Asien – doch letzteres bleibt Spekulation, weil eine entsprechende Überlieferung bislang nicht nachgewiesen ist. Im Folgenden wird eine Einführung in die wesentlichen Themenfelder des Kaufmannshandbuches von Lukas von Vanand gegeben, dieses in die (europäische) Tradition der Erstellung von Kaufmannshandbüchern eingebunden und versucht, seine Bedeutung als Spiegel des Neu-Julfaer Handelsnetzwerkes um 1700 in einem internationalen Kontext zu umreißen. 1. Von Neu-Julfa nach Amsterdam: Das internationale Handelsnetz der armenischen Kaufleute 1.1. Neu-Julfa/Isfahan – Zentrum des armenischen Handelsnetzwerks Das Zentrum des armenischen Handelsnetzes, wie es sich im 17. und 18. Jahrhundert von Amsterdam und London im Westen bis nach Java und Manila im Osten erstreckte, war Neu-Julfa (Nor Djougha), ein Vorort oder eine ›Beistadt‹ von Isfahan, der seit 1598 neuen Hauptstadt des Safawiden-Reiches. Im Rahmen des seit Jahrzehnten andauernden Krieges zwischen dem Osmanischen und dem Safawiden-Reich wurden 1604 auf Befehl des persischen Schahs Schah ‘Abbās I. des Großen (1587–1629) hunderttausende Armenier und somit auch Einwohner des armenischen Handelszentrums (Alt-)Julfa7 nach Persien deportiert.8 In Isfahan wurden nach gesellschaftlichem Rang, Wohlstand und regionaler Herkunft vor der Deportation deutlich unterschiedliche Gruppen von Armeniern angesiedelt: Zum einen Handwerker, die sich im alten Isfahan niederließen; zum anderen kaukasische, vielfach zum Islam konvertierte Kriegsgefangene oder ›königliche Sklaven‹, die sogenannten Ghulams;9 und zum dritten – als wichtigste aus der hier gewählten Perspektive – 6 Kévonian, Marchands arméniens, S. 204; Baghdiantz-MacCabe, The Shah’s Silk, S. 280. – Nach Aussage des Kaufmannshandbuches (S. 2; siehe die Edition in diesem Band) erteilte der Onkel des Verfassers, Bischof Thomas von Vanand, am 16. Januar 1619 die Publikationsgenehmigung. 7 (Alt-)Julfa erscheint im ältesten europäischen Atlas als Chinla; Ortelius, Theatrum orbis terrarum, Karte 49; Theatrum Orbis Terrarum. Vgl. auch van den Broecke, Abraham Ortelius. – Zum Aufstieg der armenischen Kaufleute in (Alt-)Julfa Herzig, The Rise of the Julfa Merchants. 8 Bournoutian, The Armenian Community of Isfahan, part I, S. 30–34; Ganjalyan, Diaspora und Imperium, S. 61; Troebst, Isfahan – Moskau – Amsterdam, S. 182; Gregorian, Minorities of Isfahan, S. 665–668; Baghdiantz-McCabe, Opportunity and Legislation, S. 63. Nach Baghdiantz-MacCabe, The Shah’s Silk, S. 35–66, soll dahinter eine Art ›Masterplan‹ ‘Abbās I. gesteckt haben, um seine Machtposition als Schah politisch und wirtschaftlich abzusichern. Dem widersprechen zahlreiche andere, zuletzt Aslanian, Indian Ocean. – Zu Schah ‘Abbās I. vgl. auch die Biographie von Quinn, Shah ‘Abbas; zu seinen Beziehungen zur armenischen Kaufmannschaft ebd., S. 54–57, 71–73, 76. – Zur Frage der armenischen Diaspora ausführlich Baghdiantz-MacCabe, La diaspora marchande arménienne. 9 Zu den Ghulams ausführlich Baghdiantz-MacCabe, Global Trading Ambitions in Diaspora, S. 36 f. Vgl. auch Ganjalyan, Diaspora und Imperium, S. 61.

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