Das armenische Kaufmannshandbuch des Łukas Vanandec‘i (Lukas von Vanand) von 1699 11 q die Seidenkaufleute, die jenseits des Zayandeh-Flusses in der neuen Vorstadt Neu-Julfa ein wirtschaftlich und rechtlich herausgehobenes, städtisches Quartier bekamen.10 Zu ihren vom Schah gewährten Privilegien gehörten unter anderem die Erlaubnis zum Immobilienkauf und -verkauf (was allen übrigen Christen im Reich verwehrt war), die Wahl eines Kalantar11 – einer Art ›Bürgermeister‹ –, ein eigenständiges Gericht, dem auch die Aufsicht über alle Armenier von Isfahan zukam, sowie bedeutende religiöse, anderen Minderheiten nicht gewährte Freiheiten. Auch trugen die Einwohner von Neu-Julfa keine Verantwortung für die Ausgaben der eigentlichen Stadt Isfahan, womit eine verwaltungsmäßige Unabhängigkeit Neu-Julfas von Isfahan einherging.12 Die außergewöhnliche Bevorzugung der Armenier in Neu-Julfa lag in ihrer Tätigkeit im internationalen Rohseidenhandel begründet, mit welcher sie eine Mittler- und Intermediärstellung zwischen dem islamischen Mittleren Osten und dem christlichen Europa13 sowie zwischen den schiitischen Safawiden und dem sunnitischen Osmanischen Reich einzunehmen vermochten.14 Als solche erschienen sie Schah ‘Abbās I. und dem und der politischen Elite Persiens eine geradezu unersetzliche »service gentry« zu sein, eine »alien community with no power interests in Iran and no national state of their own.«15 Da die gesamte politische Ökonomie des Safawiden-Reiches auf der Rohseide als dem bedeutendsten Außenhandelsprodukt basierte und die Neu-Julfa-Armenier in jedem Bereich dieses zentralen Wirtschaftszweiges – von der Produktion bis zum Export – beteiligt waren, ja ihn vielfach dominierten, vermochten sie diese Ausnahmestellung gegenüber den übrigen Armeniern wie gegenüber allen übrigen Untertanen des Schahs einzunehmen.16 Nicht zuletzt war der Rohseidenhandel in dem seit 1501 bestehenden Dauerkonflikt zwischen dem Safawiden- und dem Osmanischen Reich gerade in den Jahrzehnten zwischen 1589 und 1639 »an important weapon«,17 so dass den Neu-Julfaner Seidenhändlern auch eine eminent politische Bedeutung zukam. Diese Position als die bevorzugten Handelsagenten des Schahs wurde zunächst ab 1592 offensichtlich, als ‘Abbās I. der wichtigsten seidenproduzierenden Provinz Gilan am Kaspischen Meer die letzten Reste ihrer Eigenständigkeit nahm und sie einige Jahre später dem persischen ›Kronland‹ (mulk-i khās.s.a) zuschlug:18 Der Seidenhandel gelangte mehr und mehr in die Hände der zu dieser Zeit noch in (Alt-)Julfa lebenden armenischen Kaufleute, die zugleich auch als Zwischen10 »[M]ost Armenians deported to the Isfahan area were working and living in the city, and the suburb of New Julfa was a quarter reserved exclusively for the wealthy silk merchants. No other Armenians were allowed to live in New Julfa«; Baghdiantz-MacCabe, Princely Suburb, S. 431. Als ausführliche Darstellung dieser gesellschaftlichen und urbanen Verhältnisse siehe ebd., S. 417–429; Karapetian, Is. fahān. 11 Zur Bedeutung der Person des Kalantars Aslanian, Social Capital, S. 393–396. 12 Bournoutian, The Armenian Community of Isfahan, part I, S. 35; Baghdiantz-MacCabe, Princely Suburb, S. 429 f.; Aslanian, Indian Ocean, S. 185–188. 13 Persische Rohseide war im 17. Jahrhundert das zweitwichtigste Importprodukt für Europa aus Asien; Floor, Silk Trade, S. 323. 14 Herzig, Venice and the Julfa Armenian Merchants, S. 151 f. 15 Aslanian, Indian Ocean, S. 38, 41 f. Vgl. auch Ganjalyan, Diaspora und Imperium, S. 62; Chaudhuri, Trade and Civilisation in the Indian Ocean, S. 224. 16 Baghdiantz-MacCabe, Global Trading Ambitions, S. 28. 17 Floor, Silk Trade, S. 323 f. (Zitat: S. 324). 18 Herzig, The Iranian Raw Silk Trade, S. 82; Goto, Die südkaspischen Provinzen, S. 171–177; wenig aussagekräftig hingegen Rabino, Les provindes caspiennes. – Gilan wurde seither aus Isfahan zentral verwaltet.
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