20 NATIONALSOZIALISMUS In keinem anderen Bereich setzte die NSDiktatur die Entrechtung jüdischer Bürger:innen so schnell durch wie im Film. Gegen die Tonfilmoperette hatten NS-Publizisten bereits vor der Machtübertragung agitiert, deren Künstler:innen sollten im neuen nationalsozialistischen Film ebenso wenig arbeiten dürfen wie die Kreativen, die den sozialkritischen oder den pazifistischen Film zu Höhepunkten des Films der Weimarer Republik gemacht hatten. Mit der Einrichtung der Reichsfilmkammer im Juli 1933 wurde jegliche Beschäftigung in der gesamten Industrie an die Mitgliedschaft in dieser Einrichtung gebunden. Jüdischen Künstler:innen ebenso wie Kinobetreiber:innen oder Verleiher:innen war die Mitgliedschaft faktisch verwehrt. In der Folge emigrierten mehr als 2000 jüdische Filmschaffende. Der Esprit, der ihre Filme ausgezeichnet hatte, verschwand aus dem deutschen Filmschaffen. Der Umbruch, der so rasant wie möglich vollzogen wurde, hatte drei zentrale Komponenten: Kontrolle, Gleichschaltung und ökonomische Konzentration. Angestrebt wurde die Kontrolle über die gesamte Branche. Durch die Verschärfung der Vorzensur, die Versuche, bereits in der Stoffentwicklung mögliche kritische Themen und Stories zu verhindern und durch die Finanzierungskredite, die die Filmkreditbank vergab, konnte schon vor der Verstaatlichung der Filmindustrie eine bis dahin beispiellose politische Kontrolle durchgesetzt werden. Mit der verdeckt vollzogenen Verstaatlichung der großen Filmfirmen UFA, Tobis, Terra und Bavaria, die 1937 weitgehend abgeschlossen und 1942 in der Gründung der UFA Film Gmbh (UFI) auch formell erklärt wurde, konnte der Einfluss abgesichert werden. Doch garantierte er vor allem, dass missliebige, subversive oder ästhetisch experimentelle Werke weitgehend unterblieben. Der zweite Aspekt der Umformung in den nationalsozialistischen Film betraf seine personelle Basis. Die angestrebte Gleichschaltung sollte alle unerwünschten Künstler:innen vom deutschen Film fernhalten, dies betraf die jüdischen Kreativen ebenso wie diejenigen, die notorisch politisch links orientiert waren. Der Verlust sehr vieler Fachkräfte machte sich jedoch durchaus bemerkbar und wurde von den Firmen auch beklagt. Mit Sondergenehmigung durften einige Künstler:innen weiterhin arbeiten, so Reinhold Schünzel, der den Nationalsozialisten als »Halbjude« galt. Sein Film Amphitryon. Aus den Wolken kommt das Glück (1935) gehört zu den raren Beispielen eines untergründig subversiven Schaffens – die in dieser Version einer Tonfilmoperette inszenierten Massenchoreografien von Soldaten und Tänzerinnen wirken ebenso als Parodie auf die entsprechenden Massenornamente der nationalsozialistischen Parteitage wie das Auftreten der höchsten Würdenträger selbst. Den Verlust an bekannten Schauspieler:innen konnten neue ausländische Stars teilweise kompensieren. Als Spezialist:innen für Genres, die untrennbar mit ihnen verbunden sind, arbeiteten im Film des Nationalsozialismus schon bald Größen wie Zarah Leander, Star der emotionalen Melodramen Detlef Siercks und Rolf Hansens, Kristina Söderbaum in den Melodramen Veit Harlans und Marika Rökk sowie Johannes Heesters als Protagonist:innen der Schlager- und Revuefilme. Wie diese Beispiele machte das konventionelle, allerdings im Rahmen und unter den Bedingungen des Nationalsozialismus konzipierte Unterhaltungskino den größten Teil der Produktionen aus. Komödien, Musikfilme im weitesten Sinne, Kriminalfilme etc. bedienten kontinuierlich bestehende Publikumserwartungen. Historienfilme präsentierten »große Männer« in Handlungen, die beispielgebend wirken sollten – und dabei Teil hatten an der Neukonstruktion historischer Kontinuitäten im Sinne der NS-Ideologie. Sie tendierten mehr oder weniger deutlich zum offensichtlichen Propagandafilm, der mit unterschiedlicher Ausrichtung während der gesamten NS-Zeit die Produktion nicht dominierte, in ihr aber einen bemerkenswerten und vom Regime besonders geförderten Teil ausmachte. Dabei blieb ein Titel wie Hitlerjunge Quex (1933, Hans Steinhoff), der zusammen mit zwei anderen Produktionen dieses Jahres sogenannte Märtyrergeschichten in Szene setzte, durch die Situierung seiner Handlung in der Zeit vor dem Regierungsantritt der Nationalsozialisten und die Konzentration auf die Hitlerjugend ein longseller. Nach dem Ersteinsatz war er regelmäßiger Bestandteil der für die Jugendlichen organisierten Filmstunden und wurde so zur Erfahrung einer ganzen Generation. Zu den expliziten Propagandafilmen gehören auch viele sogenannte dokumentarische Filme. Leni Riefenstahl realisierte im Auftrag der NSDAP drei Parteitagsfilme, deren berüchtigtster Triumph des Willens (1935) über den Parteitag 1934 wurde. Ausgestattet mit einem hohen Budget und einem Team, das für Dokumentationen unvergleichlich war – allein 14 Kamerateams standen zur Verfügung –, unterstützt von Gliederungen der Partei und den Ressourcen der Stadt Nürnberg, konnte sie die Ereignisse dort aus vielfältigen Perspektiven und mit privilegiertem Zugang aufnehmen. In monatelanger Arbeit an der Montage entstand ein Film, der weniger ein Bericht über den Parteitag sein wollte, als vielmehr dem Publikum einen suggestiven Eindruck des »Nürnberg-Erlebnisses« geben sollte. Der Film reagierte auf die kurz zuvor erfolgte Ermordung der SA-Führung, Filmplakat zu Olympia. Fest der Völker, 1938
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1