Film im Nationalsozialismus 1933–1945 178 JUD SÜSS 1940 | Regie: Veit Harlan Der infame antisemitische Film gehörte zu den erfolgreichsten Produktionen im Nationalsozialismus. Die von Veit Harlan entwickelte melodramatische Handlung sowie Stars wie Kristina Söderbaum, Ferdinand Marian oder Heinrich George trugen zu diesem Publikumserfolg entscheidend bei. Der Film wurde auf Befehl Heinrich Himmlers allen SS- und Polizeieinheiten sowie Wachmannschaften in Konzentrationslagern vorgeführt. | RR mutlich Möllers ganzer Stolz war. Dessen Refrain lautete: »Ja, der Jud, der Jud, der Jud/führt im Land das Regiment,/presst uns aus bis auf das Blut,/zieht uns aus bis auf das Hemd./Jagt den Jud zum Teufel!« All das, was Harlan zu ostentativ schien, fiel weg. Er gab die stimmige Erzählung nicht zur Verdeutlichung der Botschaft preis. Zwischentöne und Ambivalenzen: sie waren ihm durchaus erwünscht. Er wusste, wie Wirkung ohne Flucht in Belehrung und erklärende Figurenrede zu erzielen war, er kannte die Vorteile einer Charakterisierung, in der die jugendliche Unschuld für Verführungen anfällig, in der die Figur des Bösen attraktiv ist. Solcherart waren seine Beiträge zum Projekt Jud Süß. Harlans Zielgruppe waren Kinobesucher, seine Mittel die Konventionen der Unterhaltung. Er reüssierte, wusste zu verführen. Sein Film ist mit Geschick gemacht, widerstrebend muss man zugestehen: mit handwerklichem Können, mit Gespür für die filmischen Erzählung, mit Blick auf das zu gewinnende Publikum. Er konnte überzeugende Darsteller, technische Glanzleistungen aller an der Entstehung des Films beteiligten Künstler aufbieten. Kein anderer der antisemitischen Filme ist damit vergleichbar. Regie, Kamera, Ausstattung, Kostüm, Musik: alles state of the art. Die judenfeindliche Aussage perfekt in filmische Qualität umgesetzt zu haben: der Sündenfall des Regisseurs. Rainer Rother Frankfurter Allgemeine Zeitung Beilage Bilder und Zeiten 18. September 2010 Kein Spielfilm des Dritten Reiches ist berüchtigter als Jud Süß, kaum einer war erfolgreicher. Die Gleichzeitigkeit von unzweideutig antisemitischer Propaganda und offenkundiger Popularität beim Publikum macht ihn zu dem vielleicht erschreckendsten Exempel der nationalsozialistischen Filmproduktion. Schätzungen gehen davon aus, dass ihn mehr als 20 Millionen Kinozuschauer sahen: Antisemitismus als Unterhaltung. Noch im Januar 1945, dem letzten Monat mit entsprechenden Statistiken, zählte man über 30.000 verkaufte Eintrittskarten. Ein »long seller«, das bedurfte einer entsprechenden Basis: Den Kinos standen nach der deutschen Premiere im Berliner Ufa-Palast am Zoo am 24. September 1940 450 Kopien zur Verfügung, mehr als das Doppelte der sonst verfügbaren Anzahl. Zu den Kopien für die regulären Lichtspieltheater kamen weitere 150, eigens reserviert für Veranstaltungen von Gaufilmstellen, der Wehrmacht, der SS oder anderer Gliederungen des NS-Staates. Jeder Deutsche sollte diesen Film sehen können. Harlan hatte – und zeigte – Engagement. [...] In zwei Stufen überarbeitete er das Drehbuch, Goebbels war Mitte Dezember 1939 von der nunmehr vierten Fassung des Stoffes begeistert. »Großartig umgearbeitet«, befand der Minister, »das wird der antisemitische Film werden«. Auf Basis dieses Scripts entstand der Film, auch wenn Szenen noch während der im März 1940 begonnenen Dreharbeiten geändert wurden. Goebbels selbst habe eingegriffen, berichtete Harlan später. Durchaus nicht ausgeschlossen, die Endfassung aber fand der Propagandaminister gut zwei Wochen vor der Uraufführung auf der Filmkunstwoche, zu der die Internationalen Filmfestspiele in Venedig kriegsbedingt reduziert worden waren, dann tadellos: »Ein ganz großer, ein genialer Wurf. Ein antisemitischer Film, wie wir ihn uns nur wünschen können.« Dieser Wurf bestand vor allem in der Herrichtung des Stoffes in einer Form, die den Fähigkeiten seines Regisseurs entsprach. Er veränderte die Diktion, in der der Stoff zu präsentieren sei, grundlegend. War zuvor das Dozierende unübersehbar, so strich Harlan die Chronik-Einschübe, ebenso Szenen, in denen Nebenfiguren Reflexionen über »die Juden« anstellten, und auch ein Bänkellied, das ver
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