223 Nachkriegskino 1946–1961 DIE HALBSTARKEN 1956 | Regie: Georg Tressler Erzählt wird die Geschichte einer West-Berliner Jugendgang und ihres Anführers, verkörpert von Horst Buchholz, die immer stärker in den Strudel der Kriminalität gerät; gleichzeitig bietet sie auch einen Einblick in die gegen die Elterngeneration der Wirtschaftswunderzeit rebellierende jugendliche Subkultur. Bei »Halbstarken« der 1950er-Jahre erlangte der Film schnell Kultstatus, in den Vereinigten Staaten lief er als Teenage Wolfpack und begründete Horst Buchholz’ internationalen Ruhm als »deutscher James Dean«. | PM DIE HALBSTARKEN UND IHR FILM [...] Ein Halbstarker ist ein Halbwüchsiger, und Halbwüchsige stellen seit je ab und zu etwas an (freilich nicht nur sie, denn bisher hatten sie noch nie Gelegenheit, beispielsweise Kriege zu erklären oder Atombomben zu erfinden) – sieht man darin ein Problem, dann wird es auch eins; sieht man aber keins darin, dann werden sie ganz von alleine allmählich erwachsen und erhalten zunehmend Gelegenheit, Bomben zu erfinden, Kriege zu erklären und sich ihrerseits über die Halbstarken zu ärgern. Natürlich gibt es unter den Jugendlichen auch jene üblen Rowdys, die es auch unter den Erwachsenen gibt. Und sicher ist das Rowdytum in einzelnen Epochen stärker als in anderen und in unserer leider stark (oder halbstark) – das ist, zehn Jahre nach der Sündflut, kein Wunder. Doch solche Strömungen kommen und gehen. Sie kommen aus der Zeit und gehen mit dem Tag. In jeder Epoche ist die Jugend, die immer einsam war und immer ungeduldig, in genau dem Maße gefährdet, in dem die Zeit es ist. (Doch wer ist schuld daran? Die Jugend?) [...] Es ist nicht typisch, was dieser Film von der Jugend reportiert. Daß er dennoch, fast im Vorübergehen, typische Zeit-Signaturen zu setzen weiß, gibt ihm, nichtsdestoweniger, Gewicht. Zwar krankt er an galoppierender Themaverfehlung, aber der Nachwuchsregisseur Georg Tressler beherrscht sein filmisches Handwerk in einer Weise, als habe er vorher teils bei der »Faust im Nacken« [On the Waterfront, 1954, Elia Kazan] und teils allerdings auch bei »Rififi« [Du rififi chez les hommes, 1955, Jules Dassin] assistiert, in beiden Fällen aber eine Menge gelernt. Dabei kommt er aus dem Kulturfilm. Dort holte er sich, unter anderem, bereits eine Goldmedaille für ein Werk mit dem staunenswerten Titel »Ertragreicher Kartoffelanbau«. Hoffen wir, daß dieser neue Mann, vor dem wir hocherfreut den Hut ziehen, seine Kartoffeln hinfort im deutschen Spielfilm anbaut. Es müßte eigentlich ertragreich werden. Nachwuchs vor und hinter der Kamera – es ist erfreulich. Besonders erfreulich ist der junge Horst Buchholz, der einen guten Weg geht, zielstrebig, konsequent und bisher schnulzenfrei. Er scheint mir aus dem Holz der großen Darsteller geschnitzt. Rühmenswert aber sind auch die andern alle, zum Beispiel der präzise Christian Doermer, der großartige Jo Herbst, der echte »Halbstarke« Hans Joachim Ketzlin und nicht zuletzt das talentierte HalbstarkenVamperl Karin Blauermel, die sicher Karriere machen wird und sich zu diesem Behufe hinfort »Karin Baal« nennt, was natürlich bedeutend babylonischer klingt. Sie war 15, als der jugendverbotene Film gedreht wurde – spielen durfte sie darin, aber ebendies im Kino sehen, hätte sie nicht gedurft. Da stimmt doch etwas nicht. Wie dem auch sei: die Hingabe, mit der hier unsere Halbstarken mitmachten, ist ein gutes Zeichen. Es ist nicht anzunehmen, daß sie nur die Gage lockte. Sie hatten, das merkt man, eine Aufgabe. Sie hätten viele Aufgaben. Ich glaube, daß man diese Jugend, wenn man es richtig anpackt, für fast jedes Ideal begeistern kann – vorausgesetzt, daß es nicht zur allgemeinen Dienstpflicht erklärt wird. Gunter Groll Süddeutsche Zeitung 2. Oktober 1956 REBEL WITHOUT A CAUSE 1955
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