Leseprobe

227 Nachkriegskino 1946–1961 BERLIN. ECKE SCHÖNHAUSER ... 1957 | Regie: Gerhard Klein Der Film kann als Pendant zu Georg Tresslers bundesdeutscher Produktion Die Halbstarken (1956) gelten, zeigt er doch ebenso durch die amerikanische Kultur des Rock’n’Rolls inspirierte Jugendliche, die gegen die Verhältnisse rebellieren. Ganz im Sinn einer sozialistischen Ideologie werden allerdings in Berlin. Ecke Schönhauser ... das Böse und das Verbrechen im kapitalistischen Westen verortet. | PM Ich finde den Film »Berlin – Ecke Schönhauser...« sehr gut, aber auch sehr problematisch. Ich bin mir nicht gewiß, wie er auf Menschen wirken wird, die unsere Republik nicht kennen, also auf Menschen im Ausland, vor allem im kapitalistischen, und auch auf solche Menschen, die zwar in unserer Republik leben, sie aber trotzdem nicht kennen, weil sie mit geschlossenen Augen durchs Leben gehen. Bringt der Film nicht eine Anhäufung negativer Seiten, die es wohl gibt, die aber in dieser Anhäufung ein einseitiges Bild unseres Lebens geben? [...] Leserzuschrift Junge Welt, Ost-Berlin 12. September 1957 [...] »Berlin – Ecke Schönhauser...« beginnt mit einem Rundschwenk über die Kreuzung, an der sich U-Bahn, Straßenbahnen, Autos und Menschen begegnen. Der Schwenk ist von romantischer Orchestermusik mit starken Bläsergruppen untersetzt und könnte aus einem Dokumentarfilm stammen. Der Autor Wolfgang Kohlhaase, der später vor allem für Konrad Wolf und Frank Beyer schrieb, und der Regisseur Gerhard Klein waren von den Filmen des Neorealismus aus Italien beeindruckt. Sie wollten keine stilisierten Filmbilder schaffen, sondern wie die Italiener ungeschminkte Wirklichkeit zeigen. In der Rückschau sind es gerade die Realitätspartikel, die an Heimat DDR in den 50ern erinnern: die abgetragenen Hemden, die quietschenden gelben Straßenbahnen mit »Konsum«-Werbung, der Schriftzug »Demokratischer Sektor von Groß-Berlin«, Gesten und Gesichtsausdrücke, die aus einer vergangenen und dennoch vertrauten Welt stammen. [. . .] Klein/Kohlhaase warben mit ihrem Film dafür, die Lebensweise junger Leute, ihre Vorlieben, ihre Musik, zu tolerieren, denn das war in der DDR keineswegs selbstverständlich. [...] Die negativen Figuren des Films sind Westberliner Kriminelle, die Eltern von KarlHeinz und zunehmend Karl-Heinz selbst, der mehr und mehr unter schändlichen Einfluß gerät und gerade deshalb verhängnisvoll scheitert. Der Film entstand während des Kalten Krieges und zeichnet ein Schwarz-Weiß-Bild, das mit der offiziellen DDR-Politik übereinstimmte. Doppelt seltsam klingen uns heute die Worte von Karl-Heinz’ Vater in den Ohren: »Dieses ganze System wird zusammenbrechen. Deutschland ist schließlich nicht Asien.« [...] B[ärbel]. Dalichow Film und Fernsehen, Berlin Nr. 6, 1992

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