335 Neuorientierung 1990 – 2023 OFFENE WUNDEN, OSTALGISCHE KOMÖDIEN In den frühen 1990er-Jahren entstanden etliche aussagekräftige Spielfilme über die Befindlichkeiten (in) der DDR. Jörg Foth entwarf in Letztes aus der Da Da eR (1990) das Bild einer von Verschmutzung, Unterdrückung, Verfolgung, Kollaboration und Überwachung geprägten DDR; Egon Günther beschrieb in Stein (1991) die innere Emigration eines Schauspielers, für den die Gegenwart zum Traumspiel wird; in Verfehlung (1991) von Heiner Carow kämpft eine ostdeutsche Frau um ihre Liebe zu einem westdeutschen Arbeiter, während Das Land hinter dem Regenbogen (1991) von Herwig Kipping mit dem gescheiterten Versuch des DDR-Sozialismus abrechnet. Hier wie auch in weitere Spielfilme brannte sich der Untergang einer Gesellschaft ein, nicht selten im Sinnbild brachliegender Tagebauregionen: Bilder von zerfressenen, verwundeten, schlecht vernarbten Landschaften finden sich in Abschiedsdisco (1990) von Rolf Losansky, im bizarren Vexierbild Miraculi (1992) von Ulrich Weiß oder auch in der Krimiserie Lauchhammer. Tod in der Lausitz (2022, Till Franzen). Filmplakat zu Good Bye, Lenin! , 2003 von Lichtrausch GmbH Einen hohen Stellenwert nahmen nach der Wiedervereinigung Komödien ein. Mal hielten sie Stasi-Spitzeln und SED-Bonzen einen Narrenspiegel vor so wie in Helden wie wir (1999, Sebastian Peterson) und Kundschafter des Friedens (2017, Robert Thalheim), mal evozierten sie heiter-wehmütig, häufiger jedoch klamottenhaft ein »ostalgisches Gefühl«. In Go Trabi Go (1991) von Peter Timm bricht ein DDR-Bürger nach dem Mauerfall im Trabant in den europäischen Süden auf. Die Komödie wurde zum Kassenerfolg und mit Go Trabi Go 2. Das war der wilde Osten (1992) von Wolfgang Büld und Reinhard Klooss fortgesetzt. In jenen Jahren wurden die Kinos mit anspruchs- und gedankenlosen Komödienversuchen geflutet. »Warum muss eigentlich jeder, der aus dem Westen kommt, durchtrieben und dumm sein, jeder aus dem Osten naiv und dumm? Es gäbe auf beiden Seiten vielschichtigere Charaktere. Die Ansammlung von Klischees vertieft nur den Graben zwischen Ost und West, bestärkt Vorurteile. Die vordergründige Anteilnahme an der schwierigen Situation der Menschen im Osten erweist sich bei genauerer Analyse als kalkuliert.«6 Zum erfolgreichsten »Wendefilm« avancierte Good Bye, Lenin! (2003) von Wolfgang Becker: Während der letzten Tage der DDR fällt eine regimetreue Lehrerin aus Ostberlin ins Koma und erwacht erst wieder nach der Wiedervereinigung. Um sie zu schonen, gaukelt ihr Sohn ihr eine immer noch intakte DDR vor. »Zu den am besten erfundenen Szenen gehört eine gefälschte Ausgabe der DDR-Nachrichtensendung Aktuelle Kamera, in der eine geläuterte DDR Gesicht und Gestalt bekommt: Der Fliegerkosmonaut Sigmund Jähn, demokratisch gewählter Nachfolger von Staatschef Erich Honecker, postuliert Freiheit für alle, während die realen Bilder vom Mauerfall so umgedeutet werden, dass nunmehr Tausende Westdeutsche über den ›antifaschistischen Schutzwall‹ in die DDR kämen, um hier, im nunmehr wahren Paradies der Werktätigen, zu leben. [...] Eine Anpassung an den Zeitgeist, der ein Festhalten an der Utopie einer gerechten Gesellschaft ausschließlich als rückwärtsgewandt aburteilt, war dieser Kunstgriff in jedem Fall.«7 Ostalgisch heiter geben sich die Komödien Sonnenallee (1999), NVA (2005) und Leander Haußmanns Stasikomödie (2022), die Regisseur Leander Haußmann als »DDR- Trilogie« konzipierte. Sein betont versöhnlicher Blick trennt nicht zwischen Humor und Klamauk, mischt Authentisches mit Erfundenem und sucht die Struktur einer »menschlichen Komödie«, die kritische und freundliche Menschenzeichnung zusammendenkt. Dies gelingt Haußmann nur in Ansätzen, dennoch bleiben seine Filme nicht ohne Wirkung.
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