Neuorientierung 1990 – 2023 342 SCHTONK! 1992 | Regie: Helmut Dietl Knapp zehn Jahre nach der Affäre um die gefälschten, in der Zeitschrift Stern veröffentlichten Tagebücher von Adolf Hitler inszenierte Helmut Dietl die Satire, die im wiedervereinigten Deutschland ein großer Publikumserfolg wurde. Die Komödie ist hochkarätig besetzt, u.a. mit Götz George als Reporter Hermann Willié und Christiane Hörbiger als Göring-Nichte Freya von Hepp. | PM VERSCHIEDENE STADIEN DES IRRESEINS [...] Der Film beginnt in Schwarz und Weiß. 1945, Endkampf in Berlin. Einige Getreue zerren die Leichen Hitlers und Eva Brauns aus ihrem Bunker und betten das Paar in einen Bombentrichter. Eine Hand hält ein Feuerzeug ans Hosenbein des Führers. Jemand ist verzweifelt: »Er brennt nicht!« Damit geben Dietl und sein Autor Ulrich Limmer die Tonlage an. Es darf gekalauert werden, es dürfen Vasen umstürzen, es dürfen auch gerne die ältesten Tricks und Klischees sein, Versprecher zum Beispiel oder auch mal Zeitlupe, die beliebte Regisseurskrücke, wenn das Publikum gefälligst genau hinschauen soll. Dietl darf das, weil bei ihm alles ironisch wirkt und nichts eindeutig. Noch hinter den Regieklischees dürfen wir Ironie erhoffen. [...] »Schtonk!« ist also weder avantgardistisch noch eine Komödie im üblichen deutschen Sinn. Eher eine Groteske, oder eine Art schräges Volksstück. Der Film macht lächerlich, eine andere Form der Kritik kennt er nicht. Wer Nazi-Devotionalien sammelt, ist in »Schtonk!« nicht notwendig ein übler Bursche, sondern einfach nur eine absurde, komische Figur. In »Schtonk!« gibt es überhaupt kein Gut und kein Böse, lediglich verschiedene Stadien des Irreseins. [...] »Schtonk!« ist der aufwendigste rein deutsche Film, der seit zwölf Jahren, seit Petersens »Das Boot«, produziert worden ist. Er hat rund 15 Millionen Mark gekostet, in den USA hieße das immer noch low budget. Was hat Dietl mit dem Geld gemacht? Er hat Xaver Schwarzenberger an die Kamera geholt, einen Mann, bei dem man sich wundert, wieso er immer noch nicht Michael Ballhaus nach Hollywood gefolgt ist. Er hat Konstantin Wecker die Filmmusik schreiben lassen, dabei ist eine Art verweckerter Wagner herausgekommen. Er zeigt Kleider der Familie Göring und Plastiken von Arno Breker, er hat es sehr oft regnen lassen in seinem Film und mit einem Haufen Statisten unter Regenschirmen und bei Fackelbeleuchtung eine Prozession zu einem Schloß veranstaltet, wo dann im Stile von »Rosemarys Baby« [Rosemary’s Baby, 1968, Roman Polański] eine Art Schwarze Messe zu Führers Geburtstag gefeiert wird. Vor allem hat Dietl mithilfe seiner Millionen ein All-Star-Orchester des deutschen Schauspielwesens zusammengetrommelt: [...] Der deutsche Schauspieler, so erfährt man, ist als solcher voll ironietauglich und gibt bei Bedarf auch lustvoll die Knallcharge. [...] Es gab in Deutschland vor Jahren einmal einen anderen Regisseur, der sich ähnlich liebevoll mit Besetzungsfragen befassen konnte, einen, der gern alte, scheinbar verbrauchte deutsche Schauspieler ausgrub und ihnen neuen Glanz lieh. Das war Fassbinder. Nur keine Mißverständnisse. »Schtonk!« ist kein großes Kunstwerk, bloß ein kleiner, frecher Unterhaltungsfilm, verhältnismäßig aufwendig hergestellt, mit großer professioneller Sorgfalt. [...] Wenn »Schtonk!« das Normalniveau des deutschen Kinos markieren würde, dann gäbe es keine Krise des deutschen Films. [...] Harald Martenstein Der Tagesspiegel 12. März 1992
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1