Leseprobe

16 standen aber zugleich immer für sich selbst. Ihre Arbeit war Spiegel ihrer Befindlichkeiten und Gefühle aus einer persönlichen Perspektive, doch ebenso aus einem kritischen Blick auf gesellschaftliche Situationen heraus. Viele der Fotograf:innen waren Mitglied im Verband Bildender Künstler (VBK), der berufsständischen Organisation und Interessenvertretung für Künstler:innen. So hatten sie als Freischaffende – etwa als Autodidakt:innen ohne jegliche Ausbildung oder reguläre Anstellung – einen offiziell anerkannten Status, wurden auch nicht als »asozial« kriminalisiert und rückten nicht per se in den Fokus der Stasi.17 Fotografie war in den offiziellen Kunstausstellungen lange nicht vertreten, sie gab ihr Debüt innerhalb der Sektion Gebrauchsgrafik auf der IX. Kunstausstellung der DDR 1982 in Dresden, eine der sogenannten Leistungsschauen. Dies fiel zusammen mit einer allgemein einsetzenden Anerkennung der Fotografie als künstlerisches Medium. Die prägenden Ausstellungen Medium Fotografie (Halle, 1977) und Fotografie in der Kunst der DDR (Cottbus, 1986) wurden von Staatsoberen argwöhnisch beobachtet. Hier war zu sehen, was heute zum Kanon der Fotogeschichte zählt: eine Fotografie, die aus der Ich-Perspektive spricht. Es waren persönliche, subjektive Innensichten und Innenansichten des Lebensalltags, immer wieder auch graues Leben zwischen grauen Mauern. Und dieses Subjektive konnte eine gewisse Allgemeingültigkeit für sich beanspruchen, da diese Bilder die Wünsche, Ängste und Hoffnungen vieler Menschen in sich trugen. Doch die Fotografien waren immer auch sehr verschieden und die Handschriften waren individuell: mal bilderstürmerisch, bunt und laut, mal hart und kompromisslos, mal subtil, still und leise, mal im dokumentarischen Stil, mal konzeptuell, mal forschend und experimentell. Allesamt »fotografische Metareflexionen«18 des eigenen Lebens und der Lebenswirklichkeiten anderer im Privaten wie im Öffentlichen. Nicht immer, aber immer wieder drangen dabei Fotograf:innen zu dem das Leben determinierenden politischen Fundament vor. Gerdi Sippel hält fest, dass künstlerische Fotografie, je stärker sie in ihrer Nische war, umso freier war, dennoch sah sie sich selbst wie in einem Gefängnis. Denn alles war kontrolliert, vor allem als Mitglied im VBK und wenn – etwa mit Ausstellungen – eine Öffentlichkeit gesucht wurde.19 Evelyn Krull erinnert sich, dass »das Private natürlich immer auch politisch« war. Sie erzählt, dass ihre Intentionen zu fotografieren vielfältig waren – und in erster Linie privat. Zugleich reüssiert sie, dass sie in der Lage war, sich fotografisch relativ frei zu entfalten und zunehmende Freiheiten genoss, je bekannter sie wurde.20 Hier sind auch ihre eigenen Arbeiten zu verorten, handwerklich elaborierte Aktfotografien, aufgenommen im Studio. Meist ist eine Person in einem Setting vor hellem oder dunklem Hintergrund und mit einer Requisite interagierend, etwa einem Stuhl, einem Tuch oder einem Spiegel, dargestellt. Es sind Einzelbilder sowie Serien, die konzentriert und sehr reduziert, pur sind. Der Fokus auf den Körper in seinen Gesten und Posen, immer wieder ein Spiel mit Hell und Dunkel, Schatten und Licht als konstituierender Teil der jeweiligen Komposition. Aber nicht nur Ästhetik und Form standen für Evelyn Krull im Fokus, auch der Körper in seiner emotionalen Dimension und als Gefäß für Inhalte verschiedenster Art.21 Vielleicht schließt sich hier die Frage an, die wir beim heutigen Betrachten der Fotografien stellen: Für wen wurden die Fotografien gemacht bzw. für wen waren sich sichtbar? Waren es Auftragsarbeiten? Arbeiten im eigenen Auftrag? Waren sie für die Schublade? Wurden sie einem kleinen Freundeskreis gezeigt? Wurden sie in halb-/ öffentlichen Ausstellungen gezeigt? Wurden sie publiziert? Wo wurden sie publiziert? Und welchen Kontext hat man ihnen gegeben? Von einem kleinen zu einem immer größer werdenden Radius näherte sich den Fotografien und ihren Autor:innen auch der oberservierende, argwöhnische Blick. 3 | Claus Mildner · Gerdi Sippel, Ausstellung im Cotta-Klub, Freiberg · 1986 17 Als Exkurs an dieser Stelle: Was machten Überwachung und Einschüchterung in solch einem Ausmaß wie in der DDR mit einzelnen Personen? Diese Frage lässt sich kaum kollektiv beantworten. Besonders seit den 1970er-Jahren wurde mit Überwachung durch zahlreiche sogenannte Inoffizielle und Hauptamtliche Mitarbeitende auf abweichende Meinungen reagiert. Kritik zu üben war möglich, doch in diesem Überwachungsapparat war nichts ungesehen und viele mussten für sich und ihre Angehörigen Nachteile in Kauf nehmen, wurden Opfer von Zersetzung. Auch Künstler:innen, die mit ihren Werken zu Ausdrucksformen fanden, die individuelle Wege gingen, die hinterfragten, rückten besonders in den Fokus der Stasi. Das Verhalten oder die Bildsprache mancher Fotograf:innen wurde als potenziell staatsfeindlich eingeschätzt. Die persönliche Verortung in diesen Strukturen war individuell und reichte von einem Rückzug ins Innere (und einem Arbeiten für die Schublade) bis zum Ausreiseantrag bzw. zur Ausreise. (vgl. Vowinckel 2016 [wie Anm.9], S.349). 18 Gisela Parak, Editorial, in: »Zur deutschen Fotoszene der 1970er und 1980er Jahre«, hrsg. von ders., in der Reihe Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte der Ästhetik der Fotografie, hrsg. von Anton Holzer, H.137, Jg.35, 2015, S.4–5, hier S.4. 19 Johanna Gerling im Gespräch mit Gerdi Sippel, 21. 8. 2023. 20 Johanna Gerling im Gespräch mit Evelyn Krull, 15. 8. 2023. 21 Ebd.

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1