Leseprobe

43 Georg Petels Kreuzigungsgruppe. Die Berliner Schächer und der Münchner Kruzifixus EINLEITUNG Die beiden Schächer der Skulpturensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin gelten zu Recht als Meisterwerke der deutschen Kleinplastik des Barock. Sie flankierten einst einen bislang als verschollen geglaubten Christus am Kreuz. Das Rätsel um diese Figur ist das Thema des vorliegenden Beitrags, der einen Kruzifixus des Bayerischen Nationalmuseums als zugehörigen Christus vorstellt. Im Neuen Testament wird berichtet, dass Jesus zwischen zwei Räubern gekreuzigt wurde (Lk 23,39–43). Der unbußfertige Verbrecher verhöhnte Jesus mit den Worten: »Bist du denn nicht der Messias? Dann hilf dir selbst und auch uns!« Der reuige Verbrecher wies den anderen zurecht: »Nicht einmal du fürchtest Gott? Dich hat doch das gleiche Urteil getroffen. Uns geschieht recht, wir erhalten den Lohn für unsere Taten; dieser aber hat nichts Unrechtes getan.« Daraufhin wandte er sich dem Gottessohn zu: »Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst.« Dieser antwortete ihm mit den Worten: »Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.« Jesu Entgegnung auf die Worte des reuigen Schächers gehören zu den Sieben letzten Worten Jesu Christi, die er am Kreuz vor seinem Tod sprach. In apokryphen Schriften des vierten nachchristlichen Jahrhunderts wurden die beiden mit Christus gekreuzigten Verbrecher erstmals namentlich erwähnt, der reuige Schächer als Dismas und der böse Schächer als Gestas.1 In diesem Beitrag wird die Autorschaft Georg Petels (1601/02–1634) am Kruzifixus des Bayerischen Nationalmuseums vorgeschlagen oder – um den Sachverhalt präziser zu benennen – am Modell für diese vergoldete »Bronze«-Plastik.2 Er wird als derjenige Kruzifixus vorgestellt, der zu den beiden Schächern des Bode-Museums gehört (Abb. 1). Oder könnte man nicht ebenso sagen: Die beiden Schächer gehören zu dem Münchner Kruzifixus? Tatsächlich ist die Schilderung des Gekreuzigten der mit Abstand bedeutendste Gegenstand im Œuvre des überragenden Bildhauers Georg Petel, und seine Darstellungen Christi im kleinen und großen Format in verschiedenen Materialien machen auch mengenmäßig den größten Anteil seiner künstlerischen Produktion aus. Diesem zentralen Thema seiner Kunst stehen jedoch keine weiteren Darstellungen des Gekreuzigten mit den beiden Schächern an der Seite. Der Frage nach Petels kleinformatiger Kreuzigungsgruppe (Abb. Umschlag hinten innen) gehen die folgenden Betrachtungen nach, die sich dem Gegenstand aus unterschiedlichen Blickwinkeln nähern: — Was wissen wir von Petels Gruppe mit Christus und den Schächern? — Gab es auch von anderen Künstlern Kreuzigungsgruppen, die ausschließlich Christus mit den beiden Schächern zeigen? — Welche Argumente erlauben es, neben den Berliner Schächern auch den Münchner Kruzifixus Petel zuzuschreiben? — Welche künstlerischen Vorbilder inspirierten Petel bei der Gestaltung seines Kruzifixus? — Wie hat Petel Christus am Kreuz in seinen anderen Werken dargestellt?

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