Leseprobe

105 Die Berliner Schächer und der Christus des Bayerischen Nationalmuseums Herstellungstechnik, kunsttechnologische Analyse und Interpretation Vom Urmodell werden dazu sogenannte Hilfsnegative hergestellt, indem es mit Gips abgeformt wird. Bei komplizierteren Formen mit Hinterschneidungen sind dazu zahreiche Teilformen notwendig. Diese Hilfsnegative – die mehrfach verwendet werden können – werden mit flüssigem Wachs bestrichen oder ausgeschwenkt, bis die gewünschte Wandstärke erreicht ist. Die hohlen Wachsteile, wie Arme oder Beine, werden nun wieder zur ursprünglichen Form zusammengesetzt, die Ansatzstellen dafür mit einem heißen Werkzeug verschweißt. Jetzt können die Kernhalter – in Form längerer Drähte gleichmäßig über das Gussstück verteilt – durch die Hohlform hindurch gesteckt werden. Das Auffüllen der Form mit einer fließfähigen Kernmasse bildet den Abschluss. Soll die Figur später, wie im Fall der vorliegenden Kreuzigungsgruppe, aus separat gegossenen Einzelteilen zusammengesetzt werden, müssen die Teile entsprechend einzeln für den Guss vorbereitet werden. Sind die Wachsmodelle fertiggestellt und mit ihren Gusskernen versehen, gestalten sich die weiteren Schritte beim direkten und indirekten Gussverfahren identisch: Die Zufluss- und Abluftkanäle müssen angesetzt werden, abschließend wird das Ganze in den Gussmantel eingebettet. Nach dem Ausschmelzen des Wachses und Trocknen der Form wird das flüssige Metall in die Form gegossen. Ist es erstarrt und abgekühlt, kann die Form zerschlagen und der fertige Guss entnommen werden. Da nun auch die Zufluss- und Abluftkanäle mit Metall angefüllt sind, müssen sie mit einem Meißel vom Guss getrennt werden. Die Nachbearbeitung der verbleibenden Ansatzstellen ist je nach Größe ihres Durchmessers schwierig und zeitaufwendig. Das ist Teil der sogenannten Kaltarbeit, die immer auch das Entfernen der rauen Gusshaut und das langwierige Glätten der Oberfläche bis zum gewünschten Ergebnis beinhaltet. Das Schließen von Gussfehlern, zum Beispiel von offenen Gasblasen mit passgenau zugearbeiteten Intarsien, Dübeln oder Schrauben, kommt nach Bedarf hinzu. Ebenso muss mit den Öffnungen verfahren werden, die von den entfernten Kernhaltern zurückbleiben. DIE GESTALTUNG DER OBERFLÄCHE Nach der Beseitigung aller während des Herstellungsprozesses entstandenen Unzulänglichkeiten – sowohl Fehler als auch grundsätzlich prozessbedingte Effekte sind möglich – kann nun die Oberfläche mit verschieden geformten Werkzeugen bewusst weiter gestaltet werden. So sind linear geführte Ziselierungen besonders geeignet, die bereits im Wachs angelegte Zeichnung von Haaren, Fingernägeln oder Gesichtszügen zu präzisieren (Abb. 2). Punktuell eingesetzt, charakterisieren die Punzierungen Textilien oder andere strukturierte Oberflächen, etwa zur Darstellung des Terrains auf einem Sockel. Die Kaltarbeit wurde oft von spezialisierten Handwerkern wie Goldschmieden übernommen und stellte einen beträchtlichen Kostenfaktor dar.3

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