26 Transfer und Abhängigkeitsverhältnisse in kolonialen Kontexten aber unter französischer Kolonialherrschaft. Die Unabhängigkeit erlangte Kamerun, wie viele afrikanische Staaten, erst am Beginn der 1960er Jahre. Auch die Modelle zur afrikanischen Eisentechnik in der Sammlung des Deutschen Museums haben zum Teil eine koloniale Provenienz. So stammen bei den bis 1993 in der Ausstellung »Hüttenwesen« gezeigten Schmelzofenmodellen der Gbaya in der heutigen Zentralafrikanischen Republik zwar die Figuren und die Landschaft aus den Werkstätten des Deutschen Museums, die Ofen- und Hüttenmodelle selbst wurden jedoch von afrikanischen Begleitern des Forschungsreisenden Günther Tessmann (1884–1969) angefertigt, der 1913/14 im Auftrag des Reichskolonialamts das damalige »Neukamerun« erkundete.5 Zahlreiche Objekte aus kolonialen Kontexten findet man auch in der Abteilung Schifffahrt, darunter ein 1911 erworbenes Auslegerkanu aus West-Samoa (der westliche Teil der Samoainseln gehörte damals zu den deutschen Kolonien im Pazifik) (Abb. 2), ein 1907 bei der Hamburger Ethnografikahandlung J. F. G. Umlauff gekauftes Inuit-Kajak aus Grönland (bis 1953 dänische Kolonie) oder ein im gleichen Jahr beim gleichen Händler erworbenes, über zwei Meter langes Kanumodell aus Kamerun.6 Weiteren Fällen von kolonialem Sammlungsgut begegnet man im Fachgebiet Textiltechnik: Zum Beispiel ein 1913 erworbenes Konvolut gemusterter Stoffe aus Java, die verschiedene Stadien des Batik-Verfahrens zeigen,7 aus Rentiergeweih angefertigte Nähzeuge aus Lappland,8 ein »Webstuhl mit angefangener Arbeit« aus Deutsch-Kamerun (auch dieser aus dem Hamburger Geschäft J. F. G. Umlauff) oder eine 1911 als Schenkung eines deutschen Marineoffiziers ans Deutsche Museum gekommene sogenannte Feine Matte aus Samoa. Die Grenze zwischen technischem und kunst- bzw. kulturhistorischem Kulturgut ist hier in vielen Fällen fließend: So wird eine ganz ähnliche, wenn auch deutlich besser erhaltene Feine Matte in der aktuellen Ozeanien-Ausstellung des Berliner Humboldt Forums als kostbares Prestigeobjekt in Szene gesetzt. Am Deutschen Museum wurde die Feine Matte 1911 hingegen als »sehr willkommene Ergänzung unserer Gruppe Textilindustrie«9 in die Sammlung aufgenommen, weil man in ihr aufgrund der Größe und des besonders fein gearbeiteten Geflechts ein Meisterwerk einer bestimmten textilen Technik sah. Das Gleiche gilt für eine auf den ersten Blick eher nach afrikanischem Kunsthandwerk aussehende Sammlung von Objekten aus Natal (Südafrika) im Fachgebiet Agrar- und Lebensmitteltechnik: mehrere fein geflochtene Körbchen, diverse Löffel, 5 Dinslage, Sabine (Hrsg.): Günther Tessmann: Mein Leben – Tagebuch in 12 Bänden, Teil 3 (Lübecker Beiträge zur Ethnologie, Bd. 4). Lübeck 2015, S. 133–134, S. 153. Zur Geschichte der 1951 in ein Diorama umgebauten Modelle siehe auch Füßl, Wilhelm/Lucas, Andrea/Röschner, Matthias: Wirklichkeit und Illusion. Dioramen im Deutschen Museum. München 2017, S. 160–161. 6 Weitergehende Informationen zu diesen Objekten und ihrer Geschichte sind im Blog des Deutschen Museums zu finden: Wörrle, Bernhard: Südseekanus vom Oktoberfest (Koloniales Sammlungsgut im Deutschen Museum Teil 5, Onlinezugang: https://blog.deutsches-museum.de/2021/10/01/suedseekanus-vom-oktoberfest, 1. 10. 2021, letzter Abruf 26. 9. 2023); Böhmer, Julia/Priesterjahn, Maike: Auf Spurensuche. Das Kajak der Inuit im Deutschen Museum (Onlinezugang: https://blog.deutsches-museum.de/2023/03/03/auf-spurensuche, 23.2.2023, letzter Abruf 26.9.2023) sowie Wörrle, Bernhard: Ein Kanumodell aus Kamerun (Koloniales Sammlungsgut im Deutschen Museum Teil 3, Onlinezugang: https://blog.deutsches-museum.de/2020/ 12/18/ein-kanumodell-aus-kamerun, 18. 12. 2020, letzter Abruf 26. 9. 2023. 7 Java gehörte vom 17. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg zu Niederländisch-Indien. 8 Der Spezialfall eines kolonisierten indigenen Territoriums innerhalb Europas. 9 Dankschreiben Oskar von Millers, 10. 11. 1911, in: Deutsches Museum Archiv (DMA) VA 2066/2.
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