28 Transfer und Abhängigkeitsverhältnisse in kolonialen Kontexten gebiete auf chinesischem Territorium wie Macau, Hongkong oder dem deutschen »Pachtgebiet« Kiautschou auch ein Zusammenhang mit den britischen Opiumkriegen (1839–1842 und 1856–1860) oder mit der Plünderung Pekings im Kontext des sogenannten Boxerkrieges 1900 bis 1901 gegeben sein.12 Technik fremder Völker als didaktischer Ersatz Dass das Deutsche Museum insbesondere in seiner Gründungsphase solche Objekte gezielt gesammelt hat, ist auf die evolutionistische Grundidee des von Oskar von Miller (1855–1934) konzipierten Museums zurückzuführen. So heißt es in der Gründungssatzung vom 28. Dezember 1903 zu Zweck und Aufgabe der Einrichtung: » Das Museum von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik hat den Zweck, die historische Entwickelung der naturwissenschaftlichen Forschung, der Technik und der Industrie in ihrer Wechselwirkung darzustellen und ihre wichtigsten Stufen insbesondere durch hervorragende und typische Meisterwerke zu veranschaulichen. «13 Das leitende Gestaltungsprinzip der Ausstellungen war dementsprechend die Fortschrittsreihe, die jeweils mit den ersten Anfängen eines bestimmten technischen Gebiets (Schiffbau, Eisengewinnung, Kraftmaschinen, Beleuchtungswesen usw.) begann und mit den (damals) neuesten Entwicklungen endete.14 Bei der praktischen Umsetzung dieses Konzepts gab es jedoch ein Problem: Von den ersten Anfängen der technischen Entwicklung existierten vielfach kaum Objekte, die man hätte ausstellen können. Die Lösung bestand für von Miller darin, an diesen Stellen vermeintlich auf der gleichen Entwicklungsstufe stehende außereuropäische Artefakte einzusetzen. So schreibt er 1909 an den Direktor des Leipziger Museums für Völkerkunde: »Da die ursprünglichsten Formen von Werkzeugen, Geräten usw. häufig nicht genügend bekannt sind, ist es notwendig, auf die entsprechend primitiven Vorrichtungen und Techniken der Naturvölker zurückzugrei12 Vgl. Deutscher Museumsbund 2021, S. 36–37. Zur Plünderung Pekings durch eine Allianz westlicher und östlicher Kolonialmächte, darunter das Deutsche Reich, 1900–1901, siehe insbesondere Spurny, Till: Die Plünderungen von Kulturgütern in Peking 1900/1901, Berlin 2008. Zu den Spuren in deutschen Museen vgl. die Vorträge der Tagung »Mitgenommen! Provenienzforschung zu Museumsobjekten aus dem ›Boxerkrieg‹«, Humboldt Forum Berlin, 2./3. 3. 2023, nachhörbar auf der Seite www.smb.museum/museen-einrichtungen/ museum-fuer-asiatische-kunst/sammeln-forschen/forschung/spuren-des-boxerkrieges/, letzter Abruf 26. 9. 2023. 13 In etwas modernisierter Form prägt dieses Konzept das Selbstverständnis des Hauses bis heute, vgl. www.deutsches-museum.de/assets/Museum/Download/Satzung/Satzung_Deutsches_Museum.pdf (§2), letzter Abruf 26. 9. 2023. 14 Vgl. Deutsches Museum: Amtlicher Führer durch die Sammlungen. München 1925 (Onlinezugang: https:// nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:210-18-005744257-8, letzter Abruf 26.9.2023) sowie Matschoss, Conrad (Hrsg.): Das Deutsche Museum. Geschichte, Aufgaben, Ziele. Berlin/München 1925 (mit zahlreichen Fotos der historischen Ausstellungen). Zum Konzept der Entwicklungsreihe im Denken Oskar von Millers siehe auch Füßl, Wilhelm: Oskar von Miller 1855–1934. Eine Biographie, München 2005, S. 262; sowie Miller, Oskar von: Technische Museen als Stätten der Volksbelehrung. Deutsches Museum, Abhandlungen und Berichte, 1. Jg., Heft 5. München 1929, S. 2. Auch der damalige Direktor des Technischen Museums Wien, Ludwig Erhard, vertrat die Auffassung, dass sich Verständnis für Technik Laien am besten mit Entwicklungsreihen vermitteln ließ: Erhard, L.: Der Weg des Geistes in der Technik. Deutsches Museum, Abhandlungen und Berichte, 1. Jg., Heft 4, München 1929.
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