29 Technisches Kulturgut mit kolonialer Provenienz am Deutschen Museum | Bernhard Wörrle fen.« Er beabsichtige deshalb, einen seiner Ingenieure zum Studium der »sehr interessanten Sammlungen« nach Leipzig zu entsenden. »Auf Grund des in Ihrem Museum gesammelten Materials werden wir eine Liste wünschenswerter Gegenstände der Naturvölker zusammenstellen.« Vielleicht könne der Direktor des Leipziger Museums Karl Weule (1864–1926) auch »bei der Beschaffung des einen oder anderen erwünschten Objekts behilflich« sein, dem Deutschen Museum »entbehrliche Doubletten« überlassen oder leihweise Originale zur Anfertigung von Nachbildungen zur Verfügung stellen.15 Anders als heute nahmen die Ethnografika in den ursprünglichen Ausstellungen, wie sie bis zur partiellen Zerstörung des Sammlungsbaus im Zweiten Weltkrieg und zum Teil darüber hinaus bestanden,16 dementsprechend durchaus prominente Plätze ein: Das Auslegerkanu aus Samoa und das Inuit-Kajak waren – jeweils mit lebensgroßen Gipsfiguren bemannt und in große Landschaftsdioramen eingebettet – am Eingang der Abteilung Schiffbau ausgestellt. Die Schmelzofenmodelle der Gbaya standen in einem großen freistehenden Gesamtmodell am Anfang der Abteilung Eisengewinnung aus Erzen. Die Ausstellung Musikinstrumente begann mit einem Raum voll rhythmischer Instrumente aus Afrika und Asien usw.17 Relikte der – aus heutiger Sicht fragwürdigen – Idee, technische Vergangenheit, wo authentische historische Exponate fehlten, mit (zeitgenössischen) Ethnografika zu zeigen, fand man bis 2022 in den Ausstellungen Keramik (zur Veranschaulichung vorgeschichtlicher Techniken wurden hier u. a. um 1900 herum entstandene Objekte aus Südafrika verwendet) und Metalle (hier wurde die keltische Eisenverhüttung im prähistorischen Siegerland mit einer 1914 in Deutsch-Togo produzierten Eisenluppe illustriert).18 Provenienzforschung zu technischen Ethnografika Die Voraussetzungen für Provenienzforschung am Deutschen Museum sind gut: Die Sammlung ist vollständig inventarisiert. Die Inventar- bzw. Eingangsbücher19 sind komplett erhalten. Die in ihnen verzeichneten Zugangsdaten der Objekte (Bezeichnung, Einlieferer, Erwerbungsdatum, Preis/Wert) wurden bereits Ende der 1980er Jahre als Grundstock für die damals angeschaffte erste Sammlungsdatenbank elektronisch erfasst20 und sind seither vollumfänglich digital recherchier- und auswertbar. Der 15 Oskar von Miller an Karl Weule 8. 11. 1909 und 4. 12. 1909, in: DMA VA 1137/1. 16 Das Deutsche Museum wurde 1944/45 durch Bombentreffer schwer beschädigt. Die meisten Ausstellungen konnten deshalb nach Kriegsende nicht mehr in der alten Form geöffnet werden (Mayr, Otto: Der Wiederaufbau 1945–1969, in: Füßl/Trischler 2003, S. 149–180; siehe auch www.deutsches-museum.de/museum/ geschichte, letzter Abruf 26. 9. 2023). 17 Vgl. Deutsches Museum: Amtlicher Führer (wie Anm. 14); Matschoss: Das Deutsche Museum (wie Anm. 14); Deutsches Museum: Rundgang durch die Sammlungen. Amtliche Ausgabe. München 1934. Entsprechende Fotos sind auch in den in Anm. 6 aufgeführten Blog-Beiträgen sowie auf der Seite www.deutsches-museum. de/museum/provenienzforschung/koloniales-sammlungsgut (letzter Abruf 26. 9. 2023) zu finden. Speziell zu den Dioramen und Modellen siehe auch Füßl/Lucas/Röschner: Dioramen (wie Anm. 5), S. 91–94 und S. 160–161. 18 Siehe Wörrle, Bernhard: Eisenluppe aus Akpafu und ein Hammer aus gutem deutschen Stahl (Koloniales Sammlungsgut im Deutschen Museum Teil 4, Onlinezugang: https://blog.deutsches-museum.de/2021/05/06/ eisenluppe-aus-akpafu-und-ein-hammer-aus-gutem-deutschen-stahl, 6. 5. 2021, letzter Abruf 26. 9. 2023). 19 In der Buchführung des Deutschen Museums wurde anfänglich nicht zwischen dauerhaften und nur temporären Zugängen (z.B. zurückgesandte Angebote, kurzzeitige Leihnahmen zur Anfertigung von Nachbildungen u. ä.) unterschieden, sodass es hier keine klare Trennung gibt. 20 Deutsches Museum, Jahresbericht 1991, in: DMA VA Dru 0203, S. 34–36.
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