Leseprobe

127 Handel aus dem Untergrund | Sören Groß » Alle Antisemiten sollen so untergehen wie er, als entthronter Herrscher! Neumann hat als einziger Staatssekretär im Reichstag die Naturalisation von Juden verweigert. «12 Aufgewachsen und sozialisiert zwischen führenden Rabbinern, erfolgreichen Bankiers und Unternehmern entschied sich Julius Carlebach als Teil dieses Netzwerks im Hinblick auf seine Berufswahl und die zeitgenössischen Umstände, »kein Händler im gewöhnlichen Sinn« sein zu wollen, sondern als Kunsthändler »im jüdischen Interesse zu handeln«.13 Unter dem Motto, »Wir wollen, um dem Antisemitismus zu begegnen, alle jüdischen Gebräuche erklären im Museum«,14 definierte er sein angestrebtes Geschäftsmodell und händlerisches Wirken zugleich argumentativ als gesellschaftspolitische Aufgabe.15 Bereits während seines Studiums der Volkskunde und Kunstgeschichte in Hamburg, Berlin und Wien schien ihm somit das umfangreiche Familiennetzwerk der Carlebachs – speziell die Kontakte seiner als Rabbiner wirkenden Onkel16 – bereits früh den Einstieg in den Kunsthandel mit jüdischen Ritualobjekten ermöglicht zu haben. Für ihn als Angehörigen einer der damals wohl angesehensten Rabbinerfamilien Deutschlands war diese Objektkategorie für Julius Carlebach zugleich ein genuiner Fachbereich. Mit dem von ihm entwickelten wissenschaftlichen Ansatz trat er der Vereinigung jüdischer Akademiker bei und wollte erstmals volkskundlichen Gesichtspunkten beim Aufbau jüdischer Sammlungen gerecht werden.17 Ausgehend von – wie er es formulierte – »primitiven Juden«18 aus dem damaligen »Karpathorußland«19 sollten verschiedene »Typenabläufe« der Entwicklung jüdischer Kultgegenstände in verschiedenen Ländern aufgezeigt werden. In diesem Bereich betrat Julius Carlebach bereits erstmals ein Spezialgebiet des Kunsthandels mit einem wissenschaftlichen Anspruch. Schon im Alter von 22 Jahren korrespondierte er mit verschiedenen jüdischen Gemeinden bezüglich Leihgaben und Schenkungen zur Errichtung jüdischer Abteilungen in verschiedenen 12 Brief von Julius Carlebach an David Carlebach, 1926, in: The Central Archives for the History of the Jewish People, JP-5264, P407-32 Gillis-Carlebach, Mirjam, unpaginiert. 13 Brief von Julius Carlebach an Herrn Levy, 10. 5. 1932; in: Archiv der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, EB 1914, 1081, Bl. 8. 14 Ebd. 15 Rauschenberg, Katharina: Jüdische Tradition im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Zur Geschichte des jüdischen Museumswesens in Deutschland, Hannover 2000. 16 Helbig, Marco: Ephraim Carlebach – Neoorthodoxer Rabbiner in einer liberalen Stadt, Berlin/Leipzig 2019; ebenso Kowalzik, Barbara: Die Rabbiner Dr. Ephraim Carlebach und Dr. Felix Goldmann und ihre Wirkungsstätten, in: Ephraim Carlebach Stiftung Leipzig, Bürgerverein Waldstraßenviertel e.V., PRO LEIPZIG e.V. (Hrsg.): Wir waren eure Nachbarn. Die Juden im Leipziger Waldstraßenviertel, Leipzig 1996. 17 Brief von Theodor Schrader als Direktor des Museums für Hamburgische Geschichte an Albert Klein als Vertreter der Vereinigung jüdischer Akademiker, 8. 6. 1931, in: Museum für Hamburgische Geschichte, IV. Vereine, Kiste 3, Mappe 3 (03-03-1931). 18 Dieses und die folgenden Zitate in diesem Satz stammen aus dem Bewerbungsschreiben von Julius Carlebach, dass er an die Direktionen verschiedener Museen zur Einrichtung jüdischer Abteilungen versandte; siehe hierzu Schreiben von Julius Carlebach an die Direktion des Provinzial-Museums Hannover 17. 4. 1932, in: Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, FB Ethnologie, Schriftenarchiv, II.1.4.a, 176, Bl. 99; sowie Schreiben von Julius Carlebach an die Direktion des Völkerkundemuseums Bremen, 29.3.1932, in: Übersee Museum Bremen, 177, Bd. 1. 19 Zeitgenössische Bezeichnung für den östlichsten Landesteil der damaligen Tschechoslowakei, heute als Zakarpatska Oblast zur Ukraine gehörig.

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