264 Raub und Plünderung von Alltagsgegenständen Der aktuelle Krieg in der Ukraine und die Perspektive der NS-Provenienzforschung CHRISTIAN KLÖSCH | TECHNISCHES MUSEUM WIEN Einleitung Der Krieg in der Ukraine und die Berichte, die uns darüber erreichen, zeigen drastisch, dass Krieg nicht nur zum Tod von Menschen, zu körperlicher Verstümmelung und psychischen Langzeitfolgen, sondern auch zur Zerstörung und Plünderung von Kulturstätten, Museen, Archiven, Bibliotheken und Privateigentum führt. Den russischen Soldaten angelastete Plünderungen von Privathäusern und Geschäften wecken Erinnerungen an den Raubzug, den die Soldaten der Wehrmacht und die deutschen Besatzungsbehörden in den besetzten Gebieten Europas und Nordafrikas während des Zweiten Weltkriegs zu verantworten hatten. Während sich heute über soziale Medien Berichte zu Plünderungen beinahe in Echtzeit weltweit verbreiten, liefen diese Gewalttaten im Zweiten Weltkrieg weitgehend im Verborgenen ab. Millionen von Kunst- und Alltagsgegenständen sind im Zuge der deutschen Eroberungs- und Besatzungspolitik in ganz Europa gestohlen worden. Neben dem organisierten Kunstraub durch die Besatzungsbehörden fokussierten sich die Plünderungen auf das Hab und Gut von Juden und Jüdinnen sowie anderen Opfergruppen. Immer wieder waren auch Soldaten der deutschen Wehrmacht an Raubzügen beteiligt. Viele wertvolle Gegenstände brachten die Soldaten als Souvenirs oder Geschenke für Verwandte mit nach Hause, immer wieder widmeten Wehrmachtsoldaten auch Objekte aus den besetzten Gebieten Museen in ihren Heimatorten. Für die NS-Provenienzforschung, die sich mit Sammlungen von Alltagsgegenständen und technischen Objekten beschäftigt, ist es auf Grund der Quellenlage nur in wenigen Fällen möglich, diese Raubgegenstände zu identifizieren und ihre ursprüngliche Herkunft zu klären. In diesem Artikel versuche ich anhand von Beispielen der Plünderungen von Wehrmachtsoldaten im Zweiten Weltkrieg und von russischen Soldaten aus dem Ukrainekrieg – ohne die Verbrechen gegenseitig aufrechnen zu wollen –, die innere Logik und Logistik von Plünderungen herauszuarbeiten. Ebenso wird darzustellen versucht, welche Herausforderungen die Provenienzforschung in Museen und Sammlungen zu Alltagsgegenständen heute und in der Zukunft zu bewältigen haben wird.
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