265 Raub und Plünderung von Alltagsgegenständen | Christian Klösch Die Haager Landkriegsordnung – Totes Recht? Plündernde Soldaten gehörten jahrhundertelang zum Kriegsgeschehen. Die Armeen versorgten sich im Feindesland durch Requisition von Gütern, und die Soldaten besserten durch den Raub von Wertgegenständen ihren Sold auf. Während schon im 19. Jahrhundert Regeln für Requisitionen galten – so sollten die Güter zu ortsüblichen Preisen und unter Aufsicht lokaler Behörden angekauft werden –, war der Grenzbereich zu den willkürlich durchgeführten Plünderungen immer fließend.1 Die Aussicht auf reiche Beute war eine bewusst eingesetzte Methode, um die Kampfmoral und den Siegeswillen der Truppen zu heben, wie es etwa auch nach der Niederschlagung des Boxeraufstands (1899–1901) geschehen ist: Nach der Eroberung von Peking im August 1901 gab die siegreiche Acht-Nationen-Allianz aus amerikanischen, österreichisch-ungarischen, britischen, französischen, deutschen, italienischen, japanischen und russischen Truppen die Stadt drei Tage lang zur Plünderung frei. Heute finden sich in vielen privaten und staatlichen Ostasien-Sammlungen Objekte aus diesen Plünderungen.2 Nach den Artikeln 28, 47 und 48 der »Haager Landkriegsordnung« in den Fassungen von 1899 bzw. 1907 war Plünderung im Krieg verboten und stand theoretisch unter Strafe. Der »Haager Landkriegsordnung« traten weltweit 53 Staaten bei, darunter auch die späteren Gegner im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Dass diese internationale Vereinbarung im Wesentlichen sogenanntes Totes Recht war, beweisen unter anderem die ungeheuren Verluste an Alltags- und Kulturgütern in diesen Kriegen. Der europäische Raubzug der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg: Plünderung und ökonomische Ausbeutung Im Vergleich zum Ausmaß der Plünderungen durch Wehrmachtsoldaten sind überraschend wenig direkte Zeugnisse überliefert. In den Feldpostbriefen scheinen sie nur selten thematisiert worden zu sein; in der Literatur finden sich dazu kaum Hinweise.3 Eine der wenigen bekannten Quellen ist offenbar der Brief des Wehrmachtsoldaten und späteren Deserteurs Hans Stock (1922–1971), dessen Regiment in Slowenien in der Partisanenbekämpfung eingesetzt war. Ende September 1943 schrieb er an seine Eltern: » In diesem Dorf Tarnova machten wir also Quartier [...]. Wir plündern die Ortschaft. Wie es dann dort aussah, brauche ich wohl nicht zu schildern. Es blieb keine Tür und kein Schrank heil. Die mit Stahlhelm oder Axt getöteten Hühner häuften sich zu Bergen, in allen Küchen wurde gepruzelt. [...] Alles fraß wie noch nie. [...] Es war ein unbeschreibliches Bild unserer ›Kultur‹ an das ich mich jetzt bald gewöhnt habe. «4 1 Delbrück, Hans: Geschichte der Kriegskunst, Berlin 1920, Bd. 4, S. 60–61. 2 Spurny, Till: Die Plünderung von Kulturgütern in Peking 1900/1901, Berlin 2008. 3 Didczuneit, Veit/Ebert, Jens/Jander, Thomas (Hrsg.): Schreiben im Krieg. Feldpost im Zeitalter der Weltkriege, Essen 2011. 4 Zitiert nach: Lingen, Kerstin von: Soldatenperspektive auf Bündnispartner und Besatzungsherrschaft. Briefe aus Italien, 1943–1945, in: Didczuneit/Ebert/Jander: Schreiben im Krieg (wie Anm. 3), S. 496–481 und S. 475.
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