267 Raub und Plünderung von Alltagsgegenständen | Christian Klösch Das gleiche gilt auch für Osteuropa: Die baltischen Staaten und die besetzten Gebiete der UdSSR entwickelten sich zu einem Kauf-Eldorado für Wehrmachtsoldaten.9 Die Kaufkraft der Reichsmark im Vergleich zum Rubel erhöhten die Besatzungsbehörden um 400 Prozent. Binnen drei Monaten, von Januar bis März 1943, sendeten beispielsweise die Soldaten der 18. Armee, die das damalige Leningrad belagerten und aushungerten, drei Millionen Feldpostpäckchen nach Hause, »gefüllt mit Beutestücken, Schnäppchen und überschüssigen Lebensmittelzuteilungen«.10 In einem seiner Monologe bemerkte Adolf Hitler einmal: » Ich werde jetzt barbarisch vorgehen. Was kann ich vom Osten mitnehmen? Kunstschätze? Das gibt es nicht! Bleibt also nur das bisschen Fressen! Es kann nichts besseres geschehenen, als dass es der Familie des Soldaten in der Heimat zukommt. «11 Und von Göring ist der Ausspruch überliefert: » Es wurde gesagt, man dürfe den Soldaten um Gottes Willen nicht ihren Wehrsold usw. auszahlen, sonst käme in Frankreich eine Inflation. Ich wünsche mir nichts anderes. Es soll eine kommen, dass es nur so kracht. Der Franken soll nicht mehr wert sein als ein gewisses Papier für gewisse Zwecke. Dann erst ist Frankreich so getroffen, wie wir Frankreich treffen wollen. «12 In einem Bericht der »Abwehrstelle Briefpost«, die die Dienstpost deutscher Zivilangestellter in der Ukraine auswertete, zeigte sich, dass fast alle in den Tausch- und Schwarzhandel involviert waren. Die Ukraine mutierte zum »Trödelmarkt des Dritten Reichs«: Gegen deutsche Alt- und Billigwaren tauschten sie Lebensmittel in großem Stil ein, die wiederum in das Deutsche Reich versendet wurden oder auf dem Schwarzmarkt landeten: »Das Ganze erinnert«, schreibt ein Beobachter in der Ukraine, »an den ›Handel‹ […] und den Tausch von Glasperlen gegen Elfenbein«13 in den Kolonien. Der Artikel 56 der Haager Konvention untersagte den Handel mit Kunst- und Kulturgütern in besetzten Gebieten. Doch daran hielten sich weder der seit 1940 agierende »Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg« noch das »SS-Sonderkommando Künsberg«, die beide umfangreiche Beschlagnahmungen von Kulturgütern und Alltagsgegenständen in den besetzten Gebieten durchführten. Bis 1944 plünderte der Einsatzstab Schlösser, Bibliotheken, Museen und Privatsammlungen in großem Stil. Allein in der Ukraine schätzt man die Kriegsverluste in Archiven und Bibliotheken auf 46 Millionen Akten und 50 Millionen Bücher. Die 175 ukrainischen Museen verloren im Zweiten Weltkrieg nach einer in den 1980er Jahren durchgeführten Inventur an die 130 000 Kunstwerke und weitere 3,5 Millionen Exponate durch Plünderungen oder Vernichtung.14 9 Ebd., S. 121. 10 Ebd., S. 122. 11 Ebd., S. 125. 12 Ebd., S. 126. 13 Ebd., S. 135. 14 Kot, Sethih: Kiever Knoten. Restitution zwischen Ukraine, Deutschland, Russland und Polen, in: Osteuropa, 56. Jg. (2006), Heft 1–2: Kunst im Konflikt. Kriegsfolgen und Kooperationsfelder in Europa, S. 287–300.
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