27 Einleitung Das seit dem 18. Jahrhundert durch Quellen belegte Erscheinungsbild des Brieflesenden Mädchens am offenen Fenster in Dresden, das auch in den Galeriekatalogen und in der kunstwissenschaftlichen Literatur immer wieder beschrieben ist, ließ bis zur jüngsten Restaurierung keinen Zweifel an der Authentizität der Malerei Vermeers aufkommen. Sieht man von der generellen Unsicherheit bei der Zuschreibung des Bildes bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ab, so könnte einzig ein überlieferter Satz aus seiner Restaurierungsgeschichte aus heutiger Sicht Zweifel an der Beschaffenheit und am Erhaltungszustand der Malerei ausgedrückt haben. Eine Bearbeitung des Bildes im Jahr 1838 ist mit einer kurzen handschriftlichen Notiz sowohl in einem Dienstexemplar des Galeriekatalogs des Galeriedirektors Friedrich Matthäi als auch auf einem heute sehr beschädigten Zettel auf der Rückseite des Schmuckrahmens dokumentiert. Im Matthäi-Katalog heißt es in der Anmerkung zu dem Jungen Mädchen am Fenster Nr. 603, von dem man damals annahm, es sei ein Werk von »Peter de Hooghe« (Pieter de Hooch): »603 ist 1838 sorgfältig gereinigt, auch an mehreren schadhaften Stellen ausgebessert und gefirnißt worden; war aber gewiß schon früher unter den Händen eines Restaurators gewesen«1 (Abb. 2, 3). Die Notiz ist zu kurz, um daraus ablesen zu können, ob dem damaligen Restaurator (zu dieser Zeit waren die beiden Inspektoren Johann August Renner und Carl Martin Schirmer in der Galerie tätig) aufgefallen war, dass ein beträchtlicher Teil des Bildes übermalt ist und nicht die Intention des Künstlers zeigt. Bei einer kleinen, dokumentierten Bearbeitung im Jahr 1868 »[a]m Vorhang und an der Fensterseite«2 kam ebenfalls kein Verdacht auf, wie auch einhundert Jahre später der Chemiker Hermann Kühn bei der Erforschung der Grundierungen und Farben Vermeers und den damit zusammenhängenden Farbproben nicht an der vermeintlichen Echtheit der Farbschichten zweifelte. Kühn präparierte neun Proben aus dem Bild, von denen drei die Situation an den Rändern hätten zeigen können.3 Erst 1979 gewährte eine Röntgenaufnahme, die während einer Ausstellung Dresdner Meisterwerke in San Francisco von dem Gemälde angefertigt worden war, Einblicke in tiefer liegende Farbschichten. Man sah nun den großen Cupido im Hintergrund und das ebenfalls große Römerglas in der unteren rechten Bildecke. Auch eine leichte Drehung des Körpers des Mädchens konnte aus der Röntgenaufnahme Die Restaurierung des Gemäldes Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster von Johannes Vermeer Christoph Schölzel Abb. 2 Friedrich Matthäi, Verzeichnis der königlich Sächsischen Gemälde-Galerie zu Dresden, Dresden 1835, S. 116, handschriftlicher Eintrag zu KatalogNr. 603, Detail Abb. 1 Johannes Vermeer, Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster, Detail während der Firnisabnahme Abb. 3 Reste einer Restaurierungsnotiz auf der Rückseite des Rahmens
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